Der Spitzenkandidat - Roman
Also Klappe halten und Augen zu. Mach bloß keinen Scheiß, Mädchen.“
„Mach ich nicht“, versprach sie ihm. Dann brachte sie den geheimnisvollen Brief ins Spiel, Steins letzte Verfügung an seine Familie. „Sie wollte mir nicht sagen, worum es dabei ging.“
„Vielleicht ein Testament, ein Legat an eine Geliebte oder ein uneheliches Kind, wer weiß“, mutmaßte Stollmann. „Welche Ehefrau spricht schon gerne über Nebenbuhlerinnen.“
„Darum geht es nicht. Sie hatte Angst, man konnte die Angst förmlich riechen.“
„Angst riechen? Wenn man einen verkorksten Magen hat wie du, riecht man schon mal …“
„Es reicht, Stolli. Am besten, du machst dich vom Acker.“
Als er gegangen war, vertiefte sie sich erneut in die Berichte auf ihrem Schreibtisch. Die Fußspuren neben dem Fußabdruck vom Tatort wiesen Pflanzenstoffe auf, die sich nicht im Stadtwald fanden. Fleißige Lieschen wuchsen dort nicht, vermutlich war der Täter kurz vor der Tat in ein Beet oder eine Rabatte getreten. Verena dachte an den Vorgarten vor Steins Haus.
Sollte die Ehefrau doch etwas mit dem Mord zu tun haben, hatte sie nicht mehr abwarten wollen, bis das Gift seine tödliche Wirkung entfaltete? Und was hatte ihr Mann ihr in dem Brief mitgeteilt, der beim Anwalt aufbewahrt worden war und der seine Witwe in Schrecken versetzt hatte?
Sie nahm sich vor, das herauszufinden.
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Moin, Moin, liebe Hörerinnen und Hörer, aus dem Funkhaus begrüßt Sie das Team von Radio RFN. Seit Tagen erreichen uns zahllose Anrufe von Hörerinnen und Hörern, die ihr Entsetzen über den schrecklichen Mord an Uwe Stein ausdrücken. Sie fragen nach neuen Spuren im Mordfall. Leider müssen wir ihnen mitteilen, dass auch am Tag sechs nach der grässlichen Gewalttat weder das LKA noch das Innenministerium einen Täter präsentieren können. Offenbar gibt es bislang nicht einmal eine konkrete Spur. Die Pressestelle des LKA erklärte auf Nachfrage des Senders: „Es gibt mehrere aussichtsreiche Spuren, denen wir nachgehen.“ Weitere Informationen zum Mordfall waren der Pressesprecherin nicht zu entlocken
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Uns liegt des Weiteren eine Erklärung des Innenministeriums vor, wonach die kürzlich aufgebrachten und in einigen Zeitungen veröffentlichten Gerüchte, dass die Ehefrau des ermordeten Politikers vor Jahren das Frauenhaus in Hannover aufgesucht haben soll, jeder Grundlage entbehren. Anderslautende Hinweise seien schlicht falsch und dienten einzig und allein dazu, das Ansehen des Verstorbenen zu beschmutzen
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Radio RFN sprach unterdessen mit Andrea Sänger, der Leiterin des Frauenhauses in Hannover. Frau Sänger erklärte, sich an Vorfälle, die drei Jahre zurücklägen, nicht erinnern zu können. Dies sei in
Anbetracht ihrer Arbeitsbelastung mit mehr als 300 Frauen, die allein im vergangenen Jahr Schutz im Frauenhaus gesucht haben, auch gar nicht möglich. Frau Stein selbst war für eine persönliche Stellungnahme nicht zu erreichen
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Das Innenministerium kündigte eine Pressekonferenz für Ende der Woche an. Wir von Radio RFN bleiben am Ball, um Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, laufend über den Fortgang der Ermittlungen zu informieren. Bleiben Sie dran. Weiter mit dem Wetterbericht
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Radio RFN
Gut so, dachte Marion. Höchste Zeit, dass das klargestellt wurde. Uwe war kein Schläger. Wer immer dieses blödsinnige Gerücht in Umlauf gesetzt hatte, war ein Lügner. In ihre Gedanken hinein klingelte ihr Handy. Ein Blick aufs Display zeigte ihr, dass es sich um einen Unbekannten handelte. Ihr erster Gedanke war: die Medien. Die Mailbox sprang an: „Hier spricht Isabel Stein. Rufen Sie mich bitte zurück, Frau Klaßen. Möglichst bald. Die Nummer haben Sie ja.“
Marion Klaßen war überrascht. Sie war Uwes Frau nie persönlich begegnet, Uwe hatte auch kaum über sie gesprochen. Eigentlich nur ein einziges Mal in Cuxhaven, als sie ihn verführen wollte und er den treuen Ehemann gegeben hatte. Wollte sie ihr jetzt Vorwürfe machen? Befürchtete sie, dass Uwe ein Verhältnis mit ihr gehabt hatte?
Seit Tagen hing Marion in den Seilen, fühlte sich antriebsschwach, missmutig, freudlos. Das war eine neue Erfahrung für sie. Sie war fast immer gut drauf, schlechte Laune und Niedergeschlagenheit kannte sie nicht. Mit Uwes Tod hatte sich das geändert. Kurz nach dem Schock war sie noch entschlossen gewesen, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen. Dann hatte sie ihr Vorhaben verworfen, auch den Termin mit Bernd Wagner, Uwes engem Mitarbeiter,
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