Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sprung ins Jenseits

Der Sprung ins Jenseits

Titel: Der Sprung ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Darlton
Vom Netzwerk:
nicht mehr in meinen Körper zurückkehren können, und es gab auch keine Möglichkeit, Yü mitzuteilen, was geschehen war.
    Für heute hatte ich genug und vertiefte mich wieder in meine Bücher, bis mir das Essen gebracht wurde. Später kam Yü. Er berichtete, daß es seinem Onkel schlechter ginge und er die kommende Nacht kaum überleben würde. Mir brannte eine Frage auf den Lippen.
    »Was geschieht mit seiner Seele? Du hast mir doch gesagt, daß er zu den Wissenden gehört.«
    Yü setzte sich und nickte.
    »Ich habe ihn nicht nach seinen Plänen gefragt, und ich würde es auch niemals wagen. Er wird die große Reise antreten, und ich weiß nicht, ob wir ihn jemals wiedersehen werden.« Er betrachtete mich aufmerksam. »Was ist denn mit dir? Du hast dich verletzt …«
    Ich berichtete, was vorgefallen war. Er schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.
    »Du mußt in Zukunft vorsichtiger sein. Noch haben wir nicht gelernt, ganz ohne Körper auszukommen – wenigstens du hast es noch nicht gelernt.« Er seufzte. »Bleib bitte den Rest des Tages in deiner Zelle. Abends hole ich dich ab. Wir werden die Nachtwache am Sterbebett meines Onkels übernehmen.«
    Ich sah hinter ihm her, bis er die Tür geschlossen hatte.
    Ich hatte die Angst vor dem Tod verloren, seitdem ich wußte, was der Tod war. Früher hätte mich niemand dazu gebracht, am Bett eines Sterbenden Wache zu halten. Heute hatte dieser Gedanke seinen Schrecken verloren. Ein Körper starb, das war alles. Die Seele würde auf Wanderschaft gehen, vielleicht würde sie schon Sekunden später einen Körper finden und in ihn hineinschlüpfen. Das Leben würde neu beginnen, wenn auch in einer anderen Persönlichkeit. Der Wissende aber hatte die Möglichkeit, sich zu erinnern. Es würde für ihn nur eines von vielen Leben sein, und es würde an ihm selbst liegen, das neue Leben so zu gestalten, wie er es wünschte.
    Ich verbrachte den Rest des Tages mit Lesen und war froh, als es draußen dunkel wurde. Yü holte mich ab und wir aßen gemeinsam. Dann gingen wir in das Sterbezimmer seines Onkels.
    Der Greis lag auf seinem Bett und blickte uns mit weit geöffneten, klaren Augen entgegen. Wir setzten uns stumm und warteten, ob er etwas zu uns sagen würde. Die Öllichter flackerten, und an den Wänden geisterten unsere Schatten. Draußen war alles ruhig.
    Endlich bewegte sich Ho Ma Ten. Mit seinen fast durchscheinenden Fingern ergriff er Yüs Hand und hielt sie fest.
    »Ich werde dich bald verlassen, mein Sohn. Aber ich verlasse nur einen alten, nutzlosen Körper. Ich werde dir in neuer Gestalt wiederbegegnen und mich dir zu erkennen geben. Ich werde auf der Erde bleiben. Solange ich mich zurückerinnern kann, bin ich schon auf der Erde. Ich habe schon viele Leben gelebt, ich kann mich nicht mehr an alle erinnern. Auch der Unsterbliche kann vergessen, mein Sohn.« Er hielt weiterhin Yüs Hand fest, sah aber jetzt mich an, als er weitersprach: »Auch du gehörst nun zum Kreis der Unsterblichen, mein Sohn Alan. Du hast noch nicht die höchste Vollkommenheit erreicht, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Eines Tages wirst du dich erinnern können, und dann wirst du alles begreifen. Ich glaube, daß Yü eine sehr gute Wahl getroffen hat. Er hätte keinen Besseren als dich finden können. Der Kreis der Wissenden ist um ein weiteres Mitglied bereichert worden, und ich bitte dich, deine Macht niemals zu mißbrauchen.«
    »Ich verspreche es«, sagte ich bewegt.
    Yü fragte:
    »Du kannst mir keinen Hinweis geben, wie ich dich finden werde?«
    Der Sterbende schüttelte den Kopf.
    »Nein. Ich könnte es nicht, selbst wenn ich es wollte. Niemand kann in die Zukunft sehen, auch wir nicht. Ich werde ein neues Leben beginnen und versuchen, dich zu finden. Wenn du dann noch hier bist. Aber du weißt ja selbst, wie lange ein Kind braucht, um erwachsen zu werden.«
    Ich wollte fragen, warum er nicht in den Körper eines Erwachsenen schlüpfen werde, aber dann überlegte ich es mir wieder. Ich kannte ja die Antwort.
    Stumm saßen wir neben dem Bett und warteten. Draußen war es inzwischen ganz dunkel geworden. Gegen Mitternacht verfiel der Sterbende zusehends und wurde dann bewußtlos.
    »Ich glaube«, sagte Yü, »seine Seele hat den Körper bereits verlassen. Aber der Körper lebt noch. Er wird das Bewußtsein nicht mehr zurückerlangen, sondern sterben. Das, was da vor uns im Bett liegt, ist nicht mehr mein Onkel. Es ist nur das, was die Menschen als sterbliche Hülle bezeichnen.« Sein Blick

Weitere Kostenlose Bücher