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Der Sprung ins Jenseits

Der Sprung ins Jenseits

Titel: Der Sprung ins Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clark Darlton
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hören.
    Als der Mann mit dem Dolch sich bückte, um Yü den Todesstoß zu versetzen, erhielt er von seinem vermeintlichen Opfer einen kräftigen Fußtritt, der ihn zurückwarf und auf das kleine Plateau stürzen ließ. Um ein Haar hätte er noch dazu das Gleichgewicht vollends verloren und wäre in die Tiefe gerollt. So verlor er nur seinen Dolch.
    Yü sprang auf die Füße und sah, wie der Anführer dicht neben mir seine Flinte hob und auf ihn zielte. Er konnte Yü nicht verfehlen, und schon wollte ich ihn an dem sicheren Mord hindern, da begegnete ich abermals dem warnenden Blick meines Freundes. Ich blieb, wo ich war.
    Der Zeigefinger des Banditen krümmte sich um den Abzug.
    Yü gab dem Mann neben sich einen Stoß und rannte dann auf den Abgrund zu. Mit weit ausgebreiteten Armen sprang er in die Tiefe und war Sekunden später verschwunden.
    Ich war vor Entsetzen so gelähmt, daß ich mich nicht rührte. Auch der Anführer war keiner Bewegung fähig, er ließ nur sein Gewehr sinken und starrte auf die Stelle, an der Yü in den Abgrund gesprungen war. Lediglich der Kerl, den Yü zu Boden geworfen hatte, nahm seinen Dolch und stand auf. Er ging vor bis zum Rand und sah in die Tiefe.
    »Der ist erledigt«, sagte er trocken.
    »Und ich wäre fast mitgeflogen«, meinte der mit dem Messer, an dessen Bein Yü sich zuerst festgehalten hatte. »Warum hat er so schnell aufgegeben?« Er schüttelte den Kopf. »Ich verstehe das nicht.«
    Der Anführer hatte keine Zeit für solche Überlegungen. Er drehte sich zu mir und stieß mir den Gewehrlauf gegen die Brust.
    »Dein Freund war ein Idiot, hoffentlich bist du es nicht. Los, marschiere den Weg zurück, den ihr gekommen seid. Dir wird nichts geschehen, und bis zum Kloster sind es nur ein paar Stunden. Viele Grüße an die heiligen Männer dort.«
    Seine beiden Untergebenen johlten vor Vergnügen. Sie hatten den jähen Tod ihres Genossen genauso vergessen wie Yüs Ende. Unsere beiden Rucksäcke mit ihrem armseligen Inhalt gehörten nun ihnen – das schien den Tod zweier Menschen zu rechtfertigen.
    Erst jetzt kam mir zu Bewußtsein, daß es Yü nicht mehr gab. Yü war tot, auf dem Grund der Schlucht zerschmettert. Aber warum hatte er sich freiwillig in die Tiefe gestürzt, statt bis zum Ende zu kämpfen?
    Ich glaubte plötzlich, es zu wissen.
    Ein Fall in die Tiefe bedeutete nicht den plötzlichen, überraschenden Tod. Während des Sturzes hatte die Seele Gelegenheit, sich bewußt von ihrem Körper zu lösen und ihn zu verlassen, was bei einem schnellen Ende durch eine Kugel zum Beispiel nicht möglich wäre. Yü war also mit Absicht in die Schlucht gesprungen, um Zeit zu gewinnen.
    Ich wurde ganz ruhig, denn wenn Yü nun auch tot war, so wußte ich doch, daß er sich unsichtbar in der Nähe aufhielt und mich sah. Ohne die drei Räuber weiter zu beachten, ging ich an ihnen vorbei und marschierte den Weg zurück, den Yü und ich vorher gekommen waren. Der Kerl mit dem Dolch machte Anstalten, mir zu folgen, aber ein Befehl des Anführers hielt ihn zurück. Unangefochten erreichte ich die erste Biegung, hundert Meter vom Schauplatz des Überfalls entfernt. Ich blieb stehen und sah zurück.
    Wie es schien, stritten sich die drei Kerle um die Beute. Verstehen konnte ich kein Wort, aber die Bewegungen waren eindeutig. Zwischen dem Anführer und seinen beiden Leuten entstand ein heftiger Wortwechsel, der damit endete, daß sich ein Schuß aus der Flinte löste und den Dolchträger zu Boden warf. Der zweite Kerl, es war jener, an dessen Fuß sich Yü angeklammert hatte, wich zurück und ließ den Rucksack nicht los, den er ergriffen hatte. Er zog daran, und der Anführer ließ plötzlich los. Mit einem Aufschrei verschwand der Bandit in der Tiefe.
    Das alles geschah so schnell, daß ich es kaum begriff. Plötzlich war von den vier Räubern nur noch der Anführer übrig, der scheinbar fassungslos auf dem Plateau stand und ins Leere starrte. Dann lehnte er seine Flinte gegen den Felsen und setzte sich. Für mich wäre nun die beste Gelegenheit gewesen, schnell zu verschwinden, aber irgend etwas veranlaßte mich, noch zu warten.
    Ich beobachtete aus einem ungewissen Gefühl heraus den Anführer, der sich mehrmals über die Stirn strich und dann in meine Richtung sah.
    Er winkte mir plötzlich zu, blieb aber sitzen.
    Zögernd machte ich ein paar Schritte auf ihn zu. Ich glaubte zu begreifen, was geschehen war. Darum verschwand auch das Gefühl der Angst, das mich bis jetzt beherrscht

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