Der Sprung ins Jenseits
gewacht, mein Freund. Medizinisch gesehen ein Phänomen, aber ich begreife es nun. Trotzdem bin ich froh, daß Sie zurückgekehrt sind. Das enthebt mich einiger Sorgen.«
Wenig später, als ich ihm körperlich gegenübersaß, meinte ich:
»Ich habe mich so an meinen körperlosen Zustand gewöhnt, daß es mir jetzt schwerfällt, die Arme oder die Hände oder die Beine zu bewegen. Es ist ein beruhigendes Gefühl, zu wissen, daß nicht der Körper die Hauptsache des Lebens ist, sondern der Geist. Ich glaube sogar, daß sich jeder Mensch von seinem Körper freimachen könnte, wenn er es nur wollte – und wenn er sich die Zeit dazu nähme. Aber vielleicht ist es besser so, wie es ist.« Ich suchte in den Taschen meines Anzuges und fand, was ich wollte. »Der Paß ist in Ordnung, Geld habe ich auch noch. Ich werde nach Deutschland reisen. Ich muß wissen, welche Pläne Yü hat. Ihnen gegenüber hat er nichts geäußert?«
»Leider nicht. Er sagte nur, er würde Sie treffen. Ich glaube, in München.«
Ich nickte.
»Ja, in München. Hoffentlich finde ich ihn.«
Dr. Frederik suchte einen Zug für mich heraus, und eine Stunde später verabschiedete ich mich von ihm. Er hatte mir einen kleinen Koffer geliehen, in dem ich die notwendigsten Dinge verpacken konnte.
Ein Taxi brachte mich zum Bahnhof, und dann reiste ich nach Süden.
7.
Zwei Tage lang durchwanderte ich die Räume des Deutschen Museums in München, ohne einen Hinweis zu finden, daß Yü auf mich wartete. Trotzdem gab ich meine Suche nicht auf.
Ich kannte das Museum von früheren Besuchen her, trotzdem fesselte mich auch diesmal die Ausstellung wieder derart, daß ich fast die Zeit vergaß. Meine Schritte hallten von den Wänden wider, als ich durch die hellen, weiten Korridore der elektrischen Abteilung ging. Es war ein Wochentag, und das Museum war nicht sehr gut besucht. Bei der Anlage zur künstlichen Blitzerzeugung blieb ich einige Minuten stehen. Der meterlange elektrische Funke zerschlug die kleinen Modellhäuser und verblüffte die Zuschauer. Eine sehr beeindruckende Demonstration, fand ich. Ich ging weiter.
Nach einem Besuch des Planetariums entdeckte ich eine neu eingerichtete Abteilung, die ich noch nicht kannte. Es war eine riesige, runde Halle, in deren Mitte eine gewaltige Statue stand – ein nackter Mann. Ringsum an den Wänden waren große Schaufenster angebracht. Dahinter befanden sich separate Räume, in denen naturgetreue Landschaften aufgebaut waren. Der Reihe nach zeigten diese plastischen Schaufenster die Entwicklungsgeschichte der Erde und des Menschen.
Es waren insgesamt vierundzwanzig solche Fenster. Das erste Fenster zeigte das Weltall, in der Mitte die weißglühende Sonne und darum die kreisenden Planeten. Der Eindruck war so echt, daß ich mich unwillkürlich in das All zurückversetzt fühlte, aus dem ich gerade gekommen war. Die Planeten hingen an unsichtbaren Fäden, die von der Decke aus geführt wurden. Langsam kreisten sie mit den entsprechenden Geschwindigkeiten um die Sonne. Das zweite Fenster zeigte die Erde. Der etwa drei Meter große Globus hatte eine plastische Oberfläche und rotierte langsam. So etwa sah die Erde aus einer Entfernung von vierzig- bis fünfzigtausend Kilometern aus.
Im dritten Raum war die Urlandschaft der Erde so täuschend echt nachgebildet worden, daß ich die Hitze der Lavaströme fast körperlich empfand. Darüber hingen die ersten Nebelschwaden der entstehenden Atmosphäre.
Langsam wanderte ich weiter, von Schaufenster zu Schaufenster. Ich erlebte die Entstehung der Urmeere, der Kontinente, und das Leben wurde geboren und bevölkerte die Ozeane. Der siebente Raum zeigte, wie die ersten Tiere ans Land krochen. Dann kamen die gewaltigen Saurier, die ersten Säugetiere, und schließlich der Mensch.
Ich hatte vergessen, daß ich nicht allein in der riesigen Halle war. Neben mir stand ein Mann. Er deutete auf das Modell eines Gebirges, in das unterirdische Flüsse Höhlen gegraben hatten. Steinzeitmenschen hatten einen Bären erlegt und schleppten ihn zum Lagerfeuer. Der Mann neben mir sagte:
»Sehr hübsch, nicht wahr, Alan?«
Ich drehte mich ganz langsam um und sah den Mann an. Er war ein Fremder. Er trug einen dunklen Anzug und eine unauffällige Krawatte. Sein Gesicht war glattrasiert und die dunklen Haare zurückgekämmt. In seinen Augen funkelte gutmütiger Spott, als er meinem Blick begegnete.
»Ja, ich bin’s: Yü. Da staunst du, was?«
Als Yü das erstemal einen
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