Der Stalker
einströmten.
Er war nicht länger auf dem Boot, nicht länger im Hier und Jetzt. Er spürte die Hitze in seinem Gesicht, die panische Angst in seiner Brust … Dann rasenden Schmerz, überall, zuerst auf der Haut, dann ganz tief in seinen Eingeweiden, als wäre er gefangen in einer Kiste voll flammender Schwerter, die ihn alle gleichzeitig durchbohrten, die tief in sein Fleisch stachen … Es gab kein Entkommen …
Und der Gestank, wie gegrilltes Schweinefleisch …
»Ich kann immer noch die Schreie hören … sie sind hier drin, in meinem Kopf. Die ganze Zeit.« Er schloss die Augen. »Sie sind da drin gefangen, können nicht raus … Ich mache die Augen zu und höre dich schreien, Rani. Ich höre, wie du schreist, und das Feuer ist, ist …« Er holte zitternd Luft. »Feuer ist Macht, Rani. Feuer ist Stärke. Die Menschen fürchten das Feuer, aber … und immer diese Schreie … du und … und ich … die ganze Zeit habe ich diese Schreie in meinem Kopf …«
Er kniff die Augen ganz fest zusammen, ballte die Hände zu Fäusten und begann sich selbst gegen die Schläfen zu schlagen.
»Das Geschrei … mach, dass es aufhört … nein … nein! … Aus dem läuternden Feuer ward ich geboren …«
Dann Schwärze.
Er schlug die Augen auf. Blinzelte. Er lag auf dem Boden der Kabine. Rasch setzte er sich auf und blickte sich um. Rani –
Sie war noch da. Lag noch genauso da wie vorher. Ein Seufzer der Erleichterung entfuhr ihm. Er gestattete sich ein kleines Lächeln. »Gott sei Dank. Ich dachte schon, ich hätte dich wieder verloren …«
Er schüttelte den Kopf, um die Schreie loszuwerden oder sie wenigstens für eine Weile zum Schweigen zu bringen. Er wusste nicht, wie lange er ohne Bewusstsein gewesen war, aber lange konnte es nicht gewesen sein. Sonnenlicht strömte durch die Ritzen in der Decke herein, und die Luft war noch warm.
»Du bist noch da. Gut. Ich werde dich kein zweites Mal verlieren. Weil mir das schon einmal passiert ist, weißt du? Natürlich weißt du das, schließlich habe ich dich danach ja wiedergefunden, stimmt’s? Weil du mich zu dir geführt hast …« Er lachte erneut und streichelte ihr übers Kinn. »Aber du hast mich ganz schön an der Nase herumgeführt. Bist mal hier aufgetaucht, mal da, immer in anderen Gestalten, von einer zur nächsten. Du hast mit mir gespielt, hast dich über mich lustig gemacht …« Mit einer Hand hielt er ihr Kinn umfasst. »Aber trotzdem. Das war es alles wert. Denn jetzt bist du hier. Und diesmal bleibst du bei mir, nicht wahr?«
Er sah sich in der Kabine um, versuchte seine Behausung mit ihren Augen zu sehen. Scham erfasste ihn. Es war erbärmlich. Er hatte sich nicht gut um sein Zuhause gekümmert. Er lebte in einem Schweinestall. Sie hatte etwas Besseres verdient.
»Ich weiß, was du denkst«, sagte er hastig. »Das Boot hier – es ist nicht gerade schön, zumindest noch nicht. Es fehlt eben die Hand einer Frau. Du weißt ja, wie wir Männer sind, wenn wir uns selbst überlassen werden … Du bist Besseres gewohnt, und das sollst du auch bekommen, du wirst schon sehen.« Er streckte sich neben ihr auf dem Boden aus und legte ihr einen Arm um die Schultern. Sie ließ es geschehen. »Ich weiß, dass ich Geduld haben muss, du hast es mir oft genug gesagt, aber heute musst du ja vielleicht nicht so streng sein, oder? Wir haben uns so lange nicht gesehen. Jedenfalls nicht richtig …« Seine andere Hand strich über ihr Oberteil, dann über ihren Bauch. Seine Berührungen wurden drängender, sein Atem ging schneller.
»Wir haben so viel nachzuholen, findest du nicht auch?«
80 Noch eine Einsatzzentrale, dachte Phil. Und wieder in einer Bar.
Sie waren ins Best Western in der East Street auf der anderen Seite des Bahnübergangs umgezogen. Es war ein alter restaurierter Pub mit dem für die Tudorzeit typischen schwarzweißen Außenanstrich, krummen Wänden, hölzernem Balkenwerk und winzigen Bleiglasfenstern. Die Authentizität endete allerdings bei den modernen Möbeln im Speiseraum und dem hässlichen Hotelanbau hinten.
Aber Phil war ohnehin nicht der Atmosphäre wegen hier. Er hatte unter Einsatz seines Dienstausweises und mit der Bemerkung, dass eine Mordermittlung Vorrang vor den Vorbereitungen zum Abendessen habe, das Restaurant zum provisorischen Einsatzraum erklärt. Tische und Stühle waren zu einem Halbkreis zusammengestellt worden, und einige hatten ihre Laptops aufgeklappt vor sich stehen. Phil hatte auf seinem
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