Der Stalker
Boden der Kiste auf.
»Kommen Sie, Suzanne, kommen Sie raus.«
»Das Wasser …«
»Keine Angst, ich habe den Strom abgestellt. Kommen Sie ruhig.«
Er hörte, wie sie sich bewegte, und leuchtete mit der Taschenlampe in die Kiste. Langsam schob sich Suzanne auf das Licht zu.
Er lächelte ihr aufmunternd zu.
Blinzelnd und am ganzen Leib zitternd kam sie aus der Kiste. Er streckte ihr die Hand hin, um ihr auf den Beckenrand zu helfen, damit sie nicht nass wurde.
»Kommen Sie.«
Aber Suzanne war wie gelähmt. Phil runzelte die Stirn.
»Es ist alles gut, Suzanne, kommen Sie nur. Sie sind in Sicherheit …«
»Nein«, sagte sie und wollte zurück in die Kiste. »Nein …«
»Suzanne?« Phil wollte sie fassen. »Kommen Sie zu mir, Suzanne, keine Angst, ich bin ja da …«
»Genau wie ich.«
Phil erstarrte, dann wirbelte er herum.
Sah, wie etwas rasend schnell auf seinen Kopf zukam.
Sah die Welt explodieren.
Dann war alles schwarz.
94 »Wie haben Sie Fiona Welch kennengelernt?«
Turner saß da und blickte stur geradeaus. Arroganz umgab ihn wie eine Wolke billigen Aftershaves. »An der Uni. Sie war Doktorandin in Psychologie, ich hab meinen Master in Biologie gemacht. Wir hatten denselben Bekanntenkreis.«
»Und was genau hat Sie dazu bewogen, Suzanne für sie zu verlassen?«
Turner lächelte, und die Wolke verdichtete sich. »Nichts. Sie hat mir bloß die Augen geöffnet, wie viel besser ich sein kann.«
»Besser in welcher Hinsicht?«
Turner stieß einen Lacher aus, von dem er selbst vermutlich dachte, dass er gut zu seinem überheblichen Gehabe passte, doch er erinnerte Mickey nur an die Bösewichte in den alten James-Bond-Filmen.
»Wissen Sie, was Transgression ist?« Dann, ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort. »Das bedeutet Grenzüberschreitung. Bestehende Gesetze und Normen bewusst zu verletzen. Dinge zu tun, die man gemeinhin als falsch bezeichnen würde. Das ist es, was Fiona mir geboten hat. Sie hat mein Leben gesehen, mein langweiliges, stinknormales Leben, und hat es komplett umgekrempelt. Sie hat gesagt: Wenn du sie für mich verlässt, dann wird alles anders werden. Hundertmal besser. Ich hab’s gemacht. Und sie hatte recht.«
Er lehnte sich mit verschränkten Armen zurück, als erwarte er eine Runde Applaus.
»Was genau beinhaltete diese Transgression? Was haben Sie zusammen gemacht?«
»Was wir wollten. Es gibt keine Realität. Alles ist erlaubt.« Wieder ein Lacher. »Ich sage Ihnen, was wir gemacht haben.« Er beugte sich vor, und seine Augen blitzten. »Alles.«
»Okay, geht’s auch genauer?«
Turner warf den Kopf in den Nacken. Er gab sich Mühe, überlegen zu wirken, doch Mickey sah den Ausdruck in seinen Augen: Unsicherheit. Angst. Mickey wurde allmählich klar, dass seine Überheblichkeit bloß gespielt war. Und nicht sehr überzeugend.
»Was wollen Sie denn wissen?«
»Geben Sie mir ein Beispiel. Ein Beispiel Ihrer Überlegenheit. Ihrer Grenzüberschreitung. Na los, Mark, nur eins.«
Turner lehnte sich Mickey entgegen. Wieder flackerte kurz die Angst in seinen Augen auf. »Es reicht, wenn Sie wissen, wie wir denken.«
Mickey seufzte. »Okay, Mark, wenn Sie meinen.«
Turner spürte Mickeys Skepsis und wollte sie entkräften. »Wir haben Pläne gemacht. Wir wollten einen Weg finden, wie wir eine Grenze überschreiten können, damit alle sehen, dass wir es ernst meinen. Um den Leuten zu zeigen, worum es uns geht.«
»Aber was heißt das konkret? Sie haben Adele Harrison entführt. Wieso? In welcher Weise demonstrieren Sie damit Ihre Überlegenheit? Oder irgendeine … Grenzüberschreitung?«
Turners Stimme wurde schriller. Er ließ die Unterarme auf den Tisch fallen. »Kapieren Sie das denn nicht? Darum ging es doch gerade! Wir konnten uns jemanden schnappen, irgendjemanden, irgendeinen wertlosen Niemand, und mit ihm machen, was wir wollten.«
Er lehnte sich zurück, überaus zufrieden mit sich.
»Was Sie wollten.«
Turner nickte.
»Und was beinhaltete das?«
»Irgendwas. Alles.«
»Was? Töten? Foltern? Verstümmeln? Was?«
»Alles!«
»Und genau das haben Sie dann also getan, sehe ich das richtig? Was Sie wollten?«
Turner lächelte. »Mehr oder weniger.«
»Was soll das heißen, mehr oder weniger?«
»Das Experiment ist dann in seine nächste Phase eingetreten. Wir haben das alles nicht selbst gemacht. Das wäre ja viel zu einfach gewesen. Nein.«
»Sondern?«
»Ist doch logisch. Wir haben uns jemand geholt, der es für uns macht …«
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