Der Stalker
kampflos.
Aber ein Kampf war genau das, wonach Phil jetzt der Sinn stand.
Er zwängte seine Finger hinter die Platte und zog erneut mit aller Kraft. Seine Fingernägel gruben sich ins Holz, und er spürte, wie sich Splitter in seine Handfläche bohrten. Er ignorierte es und konzentrierte sich darauf, die Platte loszureißen.
Es knarrte, es splitterte, ganz langsam begann das Holz nachzugeben. Phil schrie vor Anstrengung und fiel nach hinten, als sich eine Ecke der Spanplatte schließlich löste. Er setzte sich auf und betrachtete das Ergebnis. Das entstandene Loch war gerade groß genug, um sich durchzuzwängen.
Zuerst steckte er die Arme durch, dann zog er seinen Oberkörper nach. Unwillkürlich musste er an sein Tunnelerlebnis von vor wenigen Monaten denken. Er hoffte nur, dass die Sache diesmal etwas glimpflicher ablaufen würde.
Endlich hatte er es geschafft. Auf dem Boden liegend, sah er sich um. Es war stockdunkel im Gebäude, man konnte die Hand nicht vor Augen sehen. Die Luft roch feucht und faulig. Er hörte, wie der Wind durch die rostzerfressenen Wände heulte, und ihm war, als ob Geister umherschwebten. Phil holte die Taschenlampe aus seiner Jackentasche und schaltete sie ein. Der Strahl tanzte durch die riesige Halle, und kleine schwarze Schatten huschten davon. Die Wände waren fleckig und zerfielen. Von den Eisenträgern, die das Dach stützten, blätterte schuppig der Rost, der Boden war aus gerissenem und löchrigem Beton. In einer Ecke lag ein Stapel alter Decken, daneben ein Haufen stockfleckiger Pappe. Leere Dosen und Flaschen. Hier hatte jemand gehaust. Aber das musste schon eine ganze Weile her sein.
Er stand auf und ging zur Mitte der Halle, wobei er sich immer wieder umsah. Er blickte zu Boden, der Staub war unberührt. Nein, das Gebäude war ganz bestimmt nicht durchsucht worden. Vermutlich waren die Uniformierten der Ansicht gewesen, dass eine solche unangenehme Aufgabe bis morgen Zeit hatte.
Faule Säcke, dachte Phil.
Er ließ den Lichtkegel der Lampe durch den Raum wandern. Weiter hinten führte eine Eisentreppe nach oben. Er sah zur Decke empor. Eine Art Galerie aus Eisengittern verlief quer durchs Gebäude bis nach draußen zum Kranausleger. Dort oben war niemand. Er ging weiter in Richtung Treppe.
Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen.
Ein seltsames Gefühl überkam ihn.
In einer dunklen Ecke standen zwei längliche schwarze Kisten. Phil trat ein paar Schritte näher. Es waren Packkisten aus Holz. Vor jeder Kiste stand aufrecht ein Betonstein, wie sie im Straßenbau benutzt wurden. Dahinter befand sich ein flaches Becken mit Wasser.
Im Wasser lag etwas.
Phil eilte zum Becken und befürchtete Schlimmstes.
Seine böse Ahnung bestätigte sich. Im Wasser lag eine verkohlte Leiche. Tod durch Stromschlag, vermutete er.
Er blickte sich um. Sah die Kabel, die ins Wasser führten. Mit der Taschenlampe folgte er ihrem Verlauf zu einem Hochspannungsgenerator in der Ecke. Er ging hin, schaltete ihn aus und trat wieder ans Becken. Er griff hinein und drehte die Leiche auf den Rücken.
Eine junge Frau, groß, brünett. Er ging davon aus, dass es Julie Miller oder Suzanne Perry war.
Zu spät. Verdammt.
Er stand ganz still und lauschte. Ein Geräusch. Kratzen. Rascheln. Das war keine Ratte, sondern etwas Größeres.
Er sah sich um. Eine der Kisten war offen, die vordere Schmalseite war herausgebrochen, der Betonstein verschoben worden. Der andere Stein war noch an Ort und Stelle. Phil lief um das Wasserbecken herum und ging neben der geschlossenen Kiste in die Hocke.
»Hallo?«, sagte er.
Schlagartig hörte das Kratzen auf.
»Hallo?«, sagte er erneut. »Ist da jemand drin?«
Nichts.
»Ich bin Detective Inspector Phil Brennan, Polizei von Essex. Ist da jemand?«
Er wartete. Nach ein paar Sekunden kam eine Antwort.
»Woher weiß ich, dass Sie die Wahrheit sagen?«
Eine Frauenstimme. Adrenalin rauschte durch Phils Körper. »Sind Sie Suzanne Perry oder Julie Miller?«
»Suzanne.«
Erleichterung. Er lächelte. »Gott sei Dank. Warten Sie, ich hole Sie da raus.«
Da begann sie zu schreien.
Sofort versuchte er, sie zu beruhigen. »Ist gut, ist ja schon gut. Alles in Ordnung, Sie sind jetzt in Sicherheit. Ich bin da. Sie sind in Sicherheit, haben Sie keine Angst. Ich hole Sie jetzt aus der Kiste, okay?«
Er wartete. Nichts.
»Okay?«
Ein Seufzer, dann Schluchzen. »Okay …«
»Okay.«
Er zog den Betonstein langsam zur Seite. Sobald er genug Platz hatte, brach er den
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