Der Stalker
richtig, aber in einem ganz zentralen Punkt haben Sie sich geirrt.«
Phil lehnte sich nach vorn.
»Sein Alter. Ich glaube nicht, dass er jung ist. Alles deutet auf einen älteren Täter hin.«
»Wie alt?« Auch diese Frage kam von Anni.
Fiona hob die Schultern. »Durchaus jenseits der vierzig. Möglicherweise sogar jenseits der fünfzig.«
»Und was für ein Typ wäre er?«, fragte Anni weiter. »Können Sie uns dazu irgendwelche Hinweise geben?«
»Arroganz wäre sein Hauptcharaktermerkmal. Wir haben es mit jemandem zu tun, der ganz genau weiß, was er tut. Er ist intelligent. Hochintelligent. Und das lässt ihn glauben, dass man ihn niemals fassen wird.«
»Kann er denn gefasst werden?«, wollte Fenwick wissen.
»Er hat lange gebraucht, um dahin zu kommen, wo er jetzt ist. Er hat geübt, seine Fähigkeiten Stück für Stück verfeinert, hat auf sein Ziel hingearbeitet, und jetzt, da er endlich so weit ist … glaubt er, seine Bestimmung gefunden zu haben. Seine wahre Aufgabe.« Fiona sah Fenwick an. »Er wird also nicht so schnell wieder aufhören zu morden, falls es das ist, was Sie wissen wollten.«
»Wäre er im normalen Leben denn auch arrogant?«, fragte Anni. »Würde einem das an ihm auffallen?«
»Oh ja«, sagte Fiona. »Auf jeden Fall. Er würde sogar wollen, dass es Ihnen auffällt.«
Anni lehnte sich zurück. »Dann weiß ich, wer es ist.«
Alle Blicke gingen zu ihr.
»Anthony Howe.«
51 Suzanne lag in ihrer Kiste, starrte geradeaus und atmete flach. Empfand fast so etwas wie innere Ruhe. Sie fühlte sich anders. Ob besser oder schlechter, wusste sie nicht genau. Auf jeden Fall anders.
Weil sie ihrem Sarg für kurze Zeit entkommen war.
Es hatte damit angefangen, dass Julie – falls das wirklich ihr Name war – ihr plötzlich gesagt hatte, sie solle still sein. Suzanne hatte die Warnung nicht beachtet und stattdessen mehrmals gefragt, was los sei. Erst als sie keine Antwort bekommen und das Geräusch sich nähernder Schritte gehört hatte, war sie verstummt.
»Augen zu.«
Die Stimme klang undeutlich und gedämpft, als hielte sich der Sprecher etwas vor den Mund.
Suzanne gehorchte.
»Du machst die Augen nicht auf, nicht mal für eine Sekunde, sonst bist du tot. Verstanden?«
Sie nickte.
»Hast du verstanden?«
»Ja. Schon gut … ja, ich hab verstanden.«
Sie kniff die Augen ganz fest zu.
Als Nächstes hörte sie ein Scharren und Schleifen, als würde etwas Schweres weggerückt, dann ein lautes Knarren. Suzanne spürte einen kühlen Luftzug an den Füßen. Die Kiste war offen.
Wie gerne hätte sie die Augen aufgemacht, nur ganz kurz. Die Versuchung war fast unerträglich groß.
»Augen zulassen.« Die Drohung in der Stimme war unmissverständlich.
Sie ließ die Augen geschlossen.
Etwas landete auf ihrer Brust, und sie fuhr vor Schreck zusammen.
»Zieh das über.«
Sie ertastete den Gegenstand. Er war schlaff und rau. Sie befühlte ihn. Rupfen oder Jute. Ein Sack. Sie stülpte ihn sich über den Kopf und öffnete die Augen. Sie hatte damit gerechnet, wenigstens ein kleines bisschen sehen zu können, einen Schimmer von Licht durch die Gewebefäden. Aber da war nichts. Der Stoff war dicht gewebt. Und er stank. Sie wollte lieber nicht darüber nachdenken, was ursprünglich in ihm gesteckt hatte.
»Los, komm.«
Suzanne blieb liegen.
»Komm schon!«
Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie aus der Kiste klettern sollte. Sie konnte es zuerst gar nicht glauben, und ihr Herz wurde auf einmal ganz leicht. Endlich!, dachte sie. Ich werde freigelassen! Hoffnung keimte in ihr auf.
Auf dem Rücken liegend, schob Suzanne sich vorwärts. Am Fußende der Kiste befand sich jetzt eine Öffnung, durch die sie ins Freie schlüpfen konnte. Sie rutschte weiter und ließ die Beine nach unten hängen. Unwillkürlich schrie sie auf, als sie statt auf festen Boden auf Wasser traf. Eiskaltes Wasser. Der Kälteschock raubte ihr den Atem, und einen Moment lang war sie wie erstarrt.
Eine Hand packte sie und zog sie aus der Kiste. Sie suchte mit den Füßen nach Halt und stellte fest, dass ihr das Wasser nur bis zu den Knöcheln reichte. Ein flacher Trog oder ein Becken.
Sie wurde in die Höhe gezerrt. Suzanne hatte keine Zeit, sich zu orientieren, denn die Hand, die sie gepackt hatte, zog sie mit sich fort. Sie stolperte einige Schritte durchs flache Wasser, bis sie an eine niedrige Stufe gelangten, die sie ungeschickt hinaufstieg. Ab hier war der Boden trocken. Rau und kalt. Beton, dachte
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