Der Stammgast
Führung durch Stambul an, die restliche Zeit pendelte er zwischen Avrenos’ Restaurant und der Bar des › Pera Palas‹ und spazierte stundenlang mit aufgesetztem Monokel in der Grande Rue auf und ab.
Er traf allenfalls noch die Ahbad-Brüder, die nicht in Urlaub fuhren und sich die Getränke bezahlen ließen.
Stolberg war praktisch der einzige, der sich noch um Nouchi kümmerte. Er traf sich täglich mit ihr und war immer verliebter.
»Wenn ich wollte, würde er mich heiraten«, sagte sie.
Jonsac warf ihr nur einen ängstlichen Blick zu, er hatte keinen Stolz mehr.
»Keine Angst! Ich habe nicht die geringste Lust dazu …«
Der schwedische Diplomat, in dessen Wohnung sie lebten, hatte mitgeteilt, daß er nicht in die Türkei zurückkehren würde. Für die Übernahme der Möbel und sonstiger Gegenstände hatte er ihnen einen Preis genannt.
»Wir werden die Summe nach und nach entrichten«, hatte Jonsac nach Nouchis Diktat zurückgeschrieben.
Sie hatten noch nichts bezahlt. Sie hatten nicht einmal konkret vor, es zu tun.
Sie lebten in den Tag hinein, dachten an nichts, außer daß sie nicht allein sein wollten, und es entstand eine richtige Leere, als auch Stolberg für eine Weile nach Schweden reisen mußte, um eine kleine Erbschaft in Empfang zu nehmen.
Es war jetzt schon Monate her, daß Jonsac mit Nouchi in völliger Intimität zusammenlebte, ohne bei ihr etwas zu erreichen, doch er dachte nicht mehr daran, andere Frauen zu begehren.
Eines Abends, als sie früher als sonst zu Bett gingen, weil keine Freunde mehr in der Stadt waren, sagte sie verträumt:
»Bist du sehr unglücklich?«
»Nein.«
»Hast du keine Lust mehr auf mich?«
Er antwortete nicht.
»Du sagst nur nichts, weil du Angst hast, mich zu verlieren!«
Wie üblich spazierte sie halbnackt in der Wohnung herum, und jetzt ging sie zum Spiegel, um ihre Brüste zu betrachten, wobei sie die Hände erst wie Schalen darunter hielt und dann ihren schmalen Hüften entlanggleiten ließ.
»Wüßte ich, daß du sehr unglücklich bist …«
»Dann?«
»Ich weiß nicht … Vielleicht …«
Früher hätte er sich längst auf sie gestürzt gehabt, auch wenn sie ihn noch so niederträchtig ausgelacht hätte. Jetzt wartete er einfach ab.
»Eigentlich liebst du mich nicht weniger, als ein Mann überhaupt eine Frau lieben kann … Vielleicht sogar mehr! …«
Im Tonfall, in dem sie das sagte, klang Siegesbewußtsein, aber es schwangen auch zärtliche Untertöne in ihrer Stimme mit.
»Du kannst nicht mehr leben ohne mich. Ich könnte dir sagen, tu dies, tu jenes, du würdest alles tun. Gib es zu!«
Er schmollte.
»Gib es zu! Vielleicht gibt es eine Belohnung.«
»Ich gebe es zu«, sagte er brav.
Sie ließ den Morgenmantel fallen und schlüpfte zu ihm.
»Mach aber das Licht aus.«
Warum dachte er jetzt an die Bretterwände im Wiener Vorort und an das kleine Mädchen, das hindurchsah, ganz steif vor Neugier und Entsetzen? Fast hätte er sich verweigert. Doch dann stürzte er sich wie ein Verrückter auf sie.
Er bildete sich ein, sie lächeln zu sehen, wie von weit weg und von oben herab, dennoch liebevoll, und als er den Kopf aufs Kissen sinken ließ, flüsterte sie:
»Bist du glücklich?«
Er hätte sie wild an sich drücken und unverständliche Wörter stammeln mögen, doch er fürchtete, sie könne in ihr Gelächter ausbrechen oder, noch schlimmer, amüsiert lächeln.
»Die anderen bekommen nicht einmal das«, sagte sie.
Später, als er schon am Einschlafen war, hörte er sie sagen:
»Ich habe übrigens Leyla gesehen …«
Er hatte sie ebenfalls von weitem gesehen, als er mit dem Schiff nach Therapia fuhr, mit dem gleichen Schiff, das sie genommen hatten, um zu den ›Süßen Wassern‹ zu fahren. Sie hatte im Garten des Häuschens in einem kleinen Wagen gelegen, mit einem Buch auf dem Schoß.
»Von mir aus hättest du sie gern heiraten dürfen, wenn du es gewollt hättest.«
Er war schon zu weit eingeschlafen, um alles mitzubekommen.
»Aber nur, wenn ich bei euch hätte bleiben können und die Hauptperson gewesen wäre!«
Erst lange danach ging ihm auf, daß dies womöglich eine Liebeserklärung gewesen war. Doch sicher war er sich nie. Er getraute sich immer weniger, Fragen zu stellen, aus lauter Angst, sie aufzubringen, sie zu verlieren.
Er brauchte sie, genauso wie er es brauchte, von einem Sonnenstrahl aufgeweckt zu werden, mittags die Stammgäste bei Avrenos zu treffen, sich abends in der Stadt herumzutreiben, mit Müfti
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