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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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»Sie ist sicher noch auf ihrem morgendlichen Erkundungsflug. Verflixt schade. Sie war uns ziemlich nützlich.« Bedauernd schüttelte er den Kopf. »Pech. So etwas passiert nicht oft. Außergewöhnliche Windbedingungen, oder vielleicht eine seismische Störung. Man sagt, am Ende der Bucht - dort, wo der Sturm herkam -, sei eine Öffnung, aus der Hitze entweicht. Wir müssen das einfach durchstehen. Gehen wir in die Kajüte hinunter. Kommen Sie mit mir; wir wollen nicht auch noch Sie verlieren.« Mit einer beiläufigen Bewegung griff Desperandum nach meinem Handgelenk. Sein Griff war so fest wie eine stählerne Handfessel.
    Zusammen gingen wir in seine Kajüte hinunter. Desperandum zog seine Maske vom Gesicht und fuhr mit der Hand über sein kurzgeschorenes rotblondes Haar. Er schaute zu den dicken Glasfenstern im rückwärtigen Teil der Kajüte und schnalzte bedauernd mit der Zunge. »Diese Fenster …«, sagte er. »Und nach all dem Ärger, den es mich gekostet hat, sie einbauen zu lassen. Wenn der Staubsturm über sie hinweggegangen ist, werden sie trübe und undurchsichtig sein. Nutzlos.«
    Ich wollte verzweifelt zurück an Deck. Mein Drang, Dalusa zu helfen, war von solch psychotischer Stärke, daß ich nicht einmal in der Lage war, meine Motive rational zu erwägen. Ich zog meine Maske mit betonter Beiläufigkeit ab, aber Desperandum, dessen Einsicht in menschliches Verhalten durch die Erfahrung von Jahrhunderten geschärft war, durchschaute mich. »Sie sind erregt«, sagte er. »Versuchen Sie, sich zu beruhigen. Es gibt einige Dinge über Dalusa, die Sie meines Erachtens wissen sollten …«
    »Sehen Sie!« schrie ich. »Ist sie das nicht, dort vor dem Fenster?«
    Die Reaktion auf einen solchen Schrei geschieht automatisch. Als Desperandum sich umwandte, zog ich meine Maske über, sprang die Treppe hinauf und durch die Luke. Desperandums Schrei wurde abgeschnitten, als ich sie hinter mir zuschlug. Ich hoffte, er würde vernünftig sein und nicht hinter mir her an Deck kommen.
    Aber ich hatte nicht mit der Treue eines Kapitäns zu seinen Leuten gerechnet. Die Luke schlug auf, und ich hatte kaum die Zeit, mich hinter einem Trantiegel flach hinzulegen, ehe Desperandum aufs Deck sprang. Mit schnellen Blicken sah er sich einige Sekunden um, bemerkte den herannahenden Sturm und sprang wieder in seine Kajüte hinunter. Die Luke wurde zugeschlagen und verriegelt.
    Es gab keinen Blitz, keinen Donner. Der Wind war völlig still. Fasziniert starrte ich auf die herannahende Wand. Sie war nicht so fest, wie sie aus der Entfernung erschienen war; waagerechte Schichten trieben vor der Hauptfront des Sturms her, und lange Schlingen und Spiralen streckten sich wie gasförmige Tentakel aus, ehe sie sich ins Nichts ausbreiteten. Das Licht wurde düster, und die Morgensonne wurde bereits von einem aufkommenden Schauer getrübt. Adrenalin ergoß sich in meinen Blutkreislauf. Meine übermäßige lebhafte Vorstellungskraft verselbständigte sich; ich hatte die plötzliche Vision eines erbarmungslosen Sandsturms, der meine Haut ablöste, die Kunststofflinsen meiner Maske frostig eintrübte, meine widerstandsfähige Gummimaske zu nutzlosen Fetzen zerriß, mein Gesicht mit einer Million kristallener Nadelstiche zerfurchte. In wenigen Sekunden würde ich zu einem klebrigen Skelett zerfetzt werden, meine Knochen würden bloßgelegt sein, von den gnadenlosen Böen immer dünner geschnitten und schließlich aufgelöst werden. Panische Angst erfaßte mich; ich sprang hinter den Trantiegeln hoch und rannte über das Deck. Da sah ich vor der herannahenden Wand eine verschwommene geflügelte Silhouette. Windstöße fuhren an mir vorbei, scharfe Staubpartikel stachen in meine Hände und meinen Hals. Das Licht schwand. Dalusa hatte die Kontrolle verloren und trieb wie ein Blatt dahin, drehte sich fast wie eine Windmühle. Sie würde den Bug der Lunglance passieren. Jetzt konnte ich ein schwaches Grollen hören, als ich über das plastikverkleidete Deck rannte. Eine harte Bö traf das Heck, und die Verspannungen der Lunglance surrten wie Geigensaiten. Eine weitere Bö packte mich und riß mich fast von den Füßen, aber ich krabbelte zum Bug. Gerade rechtzeitig. Aber Dalusa war zu hoch, flog aus meiner Reichweite heraus - nein, sie schwebte abwärts. Aber war es nahe genug?
    Dann, als sie vorbeitrieb, sprang ich über Bord. Und zu meiner Überraschung erwischte ich ihre Beine in einem panischen Griff. Wir schlugen auf die Staubfläche und gingen

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