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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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aufstellen.
    Das Licht war den Männern sehr willkommen, aber es schien fast eine Entweihung der titanischen Finsternis und Stille zu sein. Ich kam mir auf unbehagliche Weise sichtbar vor. Die Lichter waren wie eine herausgeschriene Herausforderung an die Bewohner - wer sie auch immer sein mochten - dieses in Stagnation verharrenden Staubsees, dieses scheußlichen kleinen Felsensargs. Ich mochte diesen Ort nicht. Ich mochte die schwarzen, hochaufragenden Felsen nicht, die immer höher und höher zu wachsen schienen, bis sie größer als Gott wirkten. Diese Felsen schienen nur darauf zu warten, unter ihrem eigenen Gewicht nachzugeben, in die schmale, von Finsternis erfüllte Bucht zusammenzustürzen und die Lunglance wie eine Wanze zwischen zwei Ziegelsteinen zu zerquetschen. Ich mochte die Kälte und die Stille nicht.
    Ich beschloß, nach unten zu gehen und die letzte Mahlzeit des Tages in Angriff zu nehmen. Als ich mich zum Gehen wandte, blickte ich über die Reling.
    Die Dunkelheit war mit Hunderten kleiner roter Funken gesprenkelt - die Reflexion des Laternenlichts in den Facettenaugen einer unglaublichen Menge von Staubläufern. Die Lunglance war von den kleinen Tieren eingekreist; stumm beäugten sie unsere Lampen mit der Hingabe von Motten für eine Kerze.
    Dies muß ein Laichgebiet sein, dachte ich. Sie konnten sich selbst ganz flach machen und mit der Strömung in die Bucht gelangen, dann, nachdem sie sich fortgepflanzt hatten, mit dem Wind im Rücken auf dem Staub gleitend zurücklaufen.
    Immer mehr tauchten vor meinen Augen auf. In jeder Richtung bedeckten sie mehrere Meter. Der erste Maat verwickelte Desperandum in ein hastiges Gespräch. Der Kapitän blickte über die Reling und zuckte die Achseln.
    Die Staubläufer wurden erregter. Panik breitete sich unter den Tausenden aus, die dicht aufeinandersaßen; sie fingen an, wie Wassertropfen in einer glutheißen Bratpfanne auf und ab zu springen. Sie näherten sich der Raserei. Ich war beunruhigt. Es war gut, daß die Reling mehr als einen Meter über der Stauboberfläche war. Die spinnenartigen kleinen Ungeheuer, etwa fünfzehn Zentimeter im Durchmesser, hüpften kraftvoll empor, aber das Deck war für sie nicht erreichbar.
    Dann fingen sie an, aufeinanderzuklettern; ohne Rücksicht auf das Leben ihrer Artgenossen erstickten sie die schwächeren im Staub. Der ungewohnte Stimulus des Lichts hatte sie zu einem unerklärlichen Gipfel insektenhaften Fanatismus inspiriert. Schnell hatten die ersten fünfzig, sechzig den Rand überwunden, rasten wie wahnsinnig übers Deck, drehten Kreise, fielen auf den Rücken und strampelten hektisch mit ihren stacheligen Beinen. Die Männer zogen sich abwartend zurück, als die Kreaturen sich aufs Deck ergossen. Auch ich wich zurück und kam dabei an dem Bottich mit der Anemone vorbei. Mit einer tückischen Peitschenbewegung gelang es ihr beinahe, ihre schwarzen Hakendornen in meinen Nacken zu bohren.
    Langsam, ohne daß sie es selbst zu bemerken schienen, wurden die Männer in die dunkelste Zone des Decks gezwungen, hinter dem Besanmast und nahe der Luke, die zur Kajüte des Kapitäns und zum Laderaum führte.
    Plötzlich sprang eines der Geschöpfe hoch und vergrub seine Kiefer in Mr. Grents Wade. Er schrie vor Schmerzen laut auf. Das war wie ein Signal: Die Männer liefen Amok, und zum trippelnden Rasseln der kleinen untertassenförmigen Füße gesellte sich das spröde Knirschen der unter den Stiefeln zerquetschten Staubläufer.
    Desperandum gab Befehle. Er brüllte so laut, daß der Lautsprecher seiner Maske verzerrt quietschte: »Geht nach unten, Männer! Ich erledige das.«
    Der Kapitän stürzte auf die nächste Laterne zu und löschte sie. Mit ein paar letzten rachsüchtigen Tanzschritten begannen die Männer, durch die Luke zu strömen. Desperandum steuerte, mehrere Tierchen von seinen Beinen wischend, auf die nächste Laterne zu. Hurtig trat ich auf ein halbes Dutzend unglücklicher Staubläufer und passierte geduckt die Küchenluke. Ich schlug sie hinter mir zu und ertastete mir meinen Weg die Treppe hinab zum Lichtschalter.
    Auf dem Küchenboden waren zwei Staubläufer. Ich schlug sie mit einer Soßenpfanne platt und begann mit der Zubereitung des Essens.
    Mr. Flack strich Salbe auf die Bisse, die die Matrosen davongetragen hatten. An diesem Abend aßen die Männer im Laderaum. Sie schliefen dort auch, da die Staubläufer keine Neigung zeigten, das Schiff zu verlassen. Alle halbe Stunde spähten wir hinaus; die

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