Der Stechlin.
in Brandenburg war, in meinem letzten Dienstjahr, da hatten wir dicht bei uns einen kleinen Mann von der Feuerversicherung, der hieß Briefbeschwerer. Ja, Adelheid, wenn ich dem gegenüber so verfahren wäre, wie du jetzt mit Gräfin Melusine, so hätt’ ich mir den Mann als eine halbe Bombe vorstellen müssen oder als einen Kugelmann. Denn damals, es war anno vierundsechzig, waren alle ›Briefbeschwerer‹ bloß ›Kugelmänner‹: ‘ne Flintenkugel oben und zwei Flintenkugeln unten. Und natürlich ‘ne Kartätschenkugel als Bauch in der Mitte. Das Feuerversicherungsmännchen aber, das zufällig so sonderbar hieß, war so dünn wie ‘n Strich.«
»Ja, Dubslav, was soll das nun alles wieder? Du gibst da deinem Zeisig mal wieder ein gut Stück Zucker. Ich sage Zeisig, weil ich nicht verletzlich werden will.«
»Küss’ die Hand…«
»Und was ich dir zur Sache darauf zu sagen habe, das ist das. Ich habe nichts dagegen, daß jemand Briefbeschwerer heißt, und überlass’ es ihm, ob er ein Strich oder ein Kugelmann sein will. Aber ich habe sehr viel gegen Melusine. Briefbeschwerer, nu, das ist bloß ein Zufall, Melusine aber ist kein Zufall, und ich kann dir bloß sagen, diese Melusine ist eben eine richtige Melusine. Alles an dieser Person…«
»Ich bitte dich, Adelheid…«
»Alles an dieser Dame, wenn sie durchaus so etwas sein soll, ist verführerisch. Ich habe so was von Koketterie noch nie gesehn. Und wenn ich mir dann unsern armen Woldemar daneben denke! Der is ja solcher Eva gegenüber von Anfang an verloren. Eh er noch weiß, was los ist, ist er schon umstrickt, trotzdem er doch bloß ihr Schwager ist. Oder vielleicht auch grade deshalb. Und dazu das ewige Sichbiegen und -wiegen in den Hüften. Alles wie zum Beweise, daß es mit der Schlange denn doch etwas auf sich hat. Und wie sie nun gar erst mit dem Lorenzen umsprang. Aber freilich, der ist womöglich noch leichter zu fangen als Woldemar. Er sah sie immer an wie ‘ne Offenbarung. Und sie ist auch so was. Darüber is kein Zweifel. Aber wovon?«
Hochzeit
Zweiunddreißigstes Kapitel
Zu guter Zeit waren die Reisenden wieder in Berlin zurück. Woldemar hatte Braut und Schwägerin bis an das Kronprinzenufer begleitet, mußte jedoch auf Verbleib im Barbyschen Hause verzichten, weil im Kasino eine kleine Festlichkeit stattfand, der er beiwohnen wollte.
Der alte Graf ging, als unten die Droschke hielt, mühsamlich auf seinem Zimmerteppich auf und ab, weil ihn sein Fuß, wie stets, wenn das Wetter umschlug, mal wieder mit einer ziemlich heftigen Neuralgie quälte.
»Nun, da seid ihr ja wieder. Der Zug muß Verspätung gehabt haben. Und wo ist Woldemar?«
Man gab ihm Auskunft und daß Woldemar wegen seines Nichterscheinens um Entschuldigung bäte. »Gut, gut. Und nun setzt euch und erzählt. Mit dem Conte, das ließ damals allerlei zu wünschen übrig… verzeih, Melusine. Da möcht’ ich denn begreiflicherweise, daß es uns diesmal besser ginge. Woldemar macht mir natürlich kein Kopfzerbrechen, aber die Familie, der alte Stechlin. Armgard braucht selbstverständlich auf eine so delikate Frage nicht zu antworten, wenn sie nicht will, wiewohl erfahrungsmäßig ein Unterschied ist zwischen Schwiegermüttern und Schwiegervätern. Diese sind mitunter verbindlicher als der Sohn.«
Armgard lachte. »Mir, Papa, passiert so was Nettes nicht. Aber mit Melusine war es wieder das Herkömmliche. Der alte Stechlin fing an, und der Pastor folgte. Wenigstens schien es mir so.«
»Dann bin ich beruhigt, vorausgesetzt, daß Melusine über den neuen Schwiegervater ihren richtigen alten Vater nicht vergißt.«
Sie ging auf ihn zu und küßte ihm die Hand.
»Dann bin ich beruhigt«, wiederholte der Alte. »Melusine gefällt fast immer. Aber manchem gefällt sie freilich auch nicht. Es gibt so viele Menschen, die haben einen natürlichen Haß gegen alles, was liebenswürdig ist, weil sie selber unliebenswürdig sind. Alle beschränkten und aufgesteiften Individuen, alle, die eine bornierte Vorstellung vom Christentum haben - das richtige sieht ganz anders aus -, alle Pharisäer und Gernegroß, alle Selbstgerechten und Eiteln fühlen sich durch Personen wie Melusine gekränkt und verletzt, und wenn sich der alte Stechlin in Melusine verliebt hat, dann lieb’ ich ihn schon darum, denn er ist dann eben ein guter Mensch. Mehr brauch’ ich von ihm gar nicht zu wissen. Übrigens konnt’ es kaum anders sein. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Aber auch umgekehrt:
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