Der Stechlin.
wenn ich den Apfel kenne, kenn’ ich auch den Stamm… Und wer war denn noch da? Ich meine von Verwandtschaft?«
»Nur noch Tante Adelheid von Kloster Wutz«, sagte Armgard.
»Das ist die Schwester des Alten?«
»Ja, Papa. Ältere Schwester. Wohl um zehn Jahr’ älter und auch nur Halbschwester. Und eine Domina.«
»Sehr fromm?«
»Das wohl eigentlich nicht.«
»Du bist so einsilbig. Sie scheint dir nicht recht gefallen zu haben.«
Armgard schwieg.
»Nun, Melusine, dann sprich du. Nicht fromm also; das ist gut. Aber vielleicht hautaine?«
»Fast könnte man’s sagen«, antwortete Melusine. »Doch paßt es auch wieder nicht recht, schon deshalb nicht, weil es ein französisches Wort ist. Tante Adelheid ist eminent unfranzösisch.«
»Ah, ich versteh’. Also komische Figur.«
»Auch das nicht so recht, Papa. Sagen wir einfach, zurückgeblieben, vorweltlich.«
Der alte Graf lachte. »Ja, das ist in allen alten Familien so, vor allem bei reichen und vornehmen Juden. Kenne das noch von Wien her, wo man überhaupt solche Fragen studieren kann. Ich verkehrte da viel in einem großen Bankierhause, drin alles nicht bloß voll Glanz, sondern auch voll Orden und Uniformen war. Fast zu viel davon. Aber mit einem Male traf ich in einer Ecke, ganz einsam und doch beinah vergnüglich, einen merkwürdigen Urgreis, der wie der alte Gobbo - der in dem Stück von Shakespeare vorkommt - aussah, und als ich mich später bei einem Tischnachbar erkundigte, wer denn das sei, da hieß es: ›Ach, das ist ja Onkel Manasse.‹ Solche Onkel Manasses gibt es überall, und sie können unter Umständen auch ›Tante Adelheid‹ heißen.«
Daß der alte Graf das so leicht nahm, erfreute die Töchter sichtlich, und als Jeserich bald danach das Teezeug brachte, wurd’ auch Armgard mitteilsamer und erzählte zunächst von Superintendent Koseleger und Pastor Lorenzen, danach vom Stechlinsee (der ganz überfroren gewesen sei, so daß sie die berühmte Stelle nicht hätten sehen können) und zuletzt von dem Museum und den Wetterfahnen.
Diese waren das, was den alten Grafen am meisten interessierte. »Wetterfahnen, ja, die müssen gesammelt werden, nicht bloß alte Dragoner in Blech geschnitten, sondern auch allermodernste Silhouetten, sagen wir aus der Diplomatenloge. Da kommt dann schon eine ganz hübsche Galerie zusammen. Und wißt ihr, Kinder, das mit dem Museum gibt mir erst eine richtige Vorstellung von dem Alten und eine volle Befriedigung, beinah mehr noch, als daß ihm Melusine gefallen hat. Ich bin sonst nicht für Sammler. Aber wer Wetterfahnen sammelt, das will doch was sagen, das ist nicht bloß eine gute Seele, sondern auch eine kluge Seele, denn es is da so was drin, wie ein Fingerknips gegen die Gesellschaft. Und wer den machen kann, das ist mein Mann, mit dem kann ich leben.«
Man blieb nicht lange mehr beisammen; beide Schwestern, ziemlich ermüdet von der Tagesanstrengung, zogen sich früh zurück, aber ihr Gespräch über Schloß Stechlin und die beiden Geistlichen und vor allem über die Domina (gegen die Melusine heftig eiferte) setzte sich noch in ihrem Schlafzimmer fort.
»Ich glaube«, sagte Armgard, »du legst zu viel Gewicht auf das, was du das Ästhetische nennst. Und Woldemar tut es leider auch. Er läßt auf seine Mark Brandenburg sonst nichts kommen, aber in diesem Punkte spricht er beinah so wie du. Wohin er blickt, überall vermißt er das Schönheitliche. Das wenige, was danach aussieht, so klagt er beständig, sei bloß Nachahmung. Aus eignem Trieb heraus würde hier nichts der Art geboren.«
»Und daß er so klagt, das ist das, was ich so ziemlich am meisten an ihm schätze. Du meinst, daß ich, wenn ich von der Domina spreche, zu viel Gewicht auf diese doch bloß äußerlichen Dinge lege. Glaube mir, diese Dinge sind nicht bloß äußerlich. Wer kein feines Gefühl hat, sei’s in Kunst, sei’s im Leben, der existiert für mich überhaupt nicht und für meine Freundschaft und Liebe nun schon ganz gewiß nicht. Da hast du mein Programm. Unser ganzer Gesellschaftszustand, der sich wunder wie hoch dünkt, ist mehr oder weniger Barbarei; Lorenzen, von dem du doch so viel hältst, hat sich ganz in diesem Sinne gegen mich ausgesprochen. Ach, wie weit voraus war uns doch die Heidenzeit, die wir jetzt so verständnislos bemängeln! Und selbst unser ›dunkles Mittelalter‹ - schönheitlich stand es höher als wir, und seine Scheiterhaufen, wenn man nicht gleich selbst an die Reihe kam, waren gar nicht
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