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Der Stechlin.

Der Stechlin.

Titel: Der Stechlin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane , Helmuth Nürnberger
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Und im übrigen auch einer aus der Nordpolfahrergruppe.«
    »Will also sagen: Nansen der Zweite.«
    »Nein, nicht der Zweite. Was er tat, war viele Jahre vor Nansen.«
    »Und er kam höher hinauf? Weiter nach dem Pol zu? Oder waren seine Eisbär-Rencontres von noch ernsthafterer Natur?«
    »All das würde mir nicht viel besagen. Das herkömmlich Heldische fehlt in seiner Geschichte völlig. Was an seine Stelle tritt, ist ein ganz andres. Aber dies andre, das gerade macht es.«
    »Und das war?«
    »Nun denn, - ich erzähle nach dem Gedächtnis, und im Einzelnen und Nebensächlichen irr’ ich vielleicht… Aber in der Hauptsache stimmt es… Also zuletzt, nach langer Irrfahrt, waren’s noch ihrer fünf: Greeley selbst und vier seiner Leute. Das Schiff hatten sie verlassen, und so zogen sie hin über Eis und Schnee. Sie wußten den Weg, soweit sich da von Weg sprechen läßt, und die Sorge war nur, ob das bißchen Proviant, das sie mit sich führten, Schiffszwieback und gesalzenes Fleisch, bis an die nächste menschenbewohnte Stelle reichen würde. Jedem war ein höchstes und doch zugleich auch wieder geringstes Maß als tägliche Provision zubewilligt, und wenn man dies Maß einhielt und kein Zwischenfall kam, so mußt’ es reichen. Und einer, der noch am meisten bei Kräften war, schleppte den gesamten Proviant. Das ging so durch Tage. Da nahm Leutnant Greeley wahr, daß der Proviant schneller hinschmolz als berechnet, und nahm auch wahr, daß der Proviantträger selbst, wenn er sich nicht beobachtet glaubte, von den Rationen nahm. Das war eine schreckliche Wahrnehmung. Denn ging es so fort, so waren sie samt und sonders verloren. Da nahm Greeley die drei andern beiseit und beriet mit ihnen. Eine Möglichkeit gewöhnlicher Bestrafung gab es nicht, und auf einen Kampf sich einzulassen ging auch nicht. Sie hatten dazu die Kräfte nicht mehr. Und so hieß es denn zuletzt, und es war Greeley, der es sagte: ›Wir müssen ihn hinterrücks erschießen.‹ Und als sie bald nach dieser Kriegsgerichtsszene wieder aufbrachen, der heimlich Verurteilte vorn an der Tête, trat Greeley von hintenher an ihn heran und schoß ihn nieder. Und die Tat war nicht umsonst getan; ihre Rationen reichten aus, und an dem Tage, wo sie den letzten Bissen verzehrten, kamen sie bis an eine Station.«
    »Und was wurde weiter?«
    »Ich weiß nicht mehr, ob Greeley selbst bei seiner Rückkehr nach Newyork als Ankläger gegen sich auftrat; aber das weiß ich, daß es zu einer großen Verhandlung kam.«
    »Und in dieser…«
    »… In dieser wurd’ er freigesprochen und im Triumph nach Hause getragen.«
    »Und Sie sind einverstanden damit?«
    »Mehr; ich bin voll Bewunderung. Greeley, statt zu tun, was er tat, hätte zu den Gefährten sagen können: ›Unser Exempel wird falsch, und wir gehen an des einen Schuld zugrunde; töten mag ich ihn nicht, - sterben wir also alle.‹ Für seine Person hätt’ er so sprechen und handeln können. Aber es handelte sich nicht bloß um ihn; er hatte die Führer- und die Befehlshaberrolle, zugleich die Richterpflicht und hatte die Majorität von drei gegen eine Minorität von einem zu schützen. Was dieser eine getan, an und für sich ein Nichts, war unter den Umständen, unter denen es geschah, ein fluchwürdiges Verbrechen. Und so nahm er denn gegen die geschehene schwere Tat die schwere Gegentat auf sich. In solchem Augenblicke richtig fühlen und in der Überzeugung des Richtigen fest und unbeirrt ein furchtbares Etwas tun, ein Etwas, das, aus seinem Zusammenhange gerissen, allem göttlichen Gebot, allem Gesetz und aller Ehre widerspricht, das imponiert mir ganz ungeheuer und ist in meinen Augen der wirkliche, der wahre Mut. Schmach und Schimpf, oder doch der Vorwurf des Schimpflichen, haben sich von jeher an alles Höchste geknüpft. Der Bataillonsmut, der Mut in der Masse (bei allem Respekt davor), ist nur ein Herdenmut.«
    Dubslav sah vor sich hin. Er war augenscheinlich in einem Schwankezustand. Dann aber nahm er die Hand Lorenzens und sagte: »Sie sollen recht haben.«

Neununddreißigstes Kapitel
    Dubslav hatte nach Lorenzens Besuch eine gute Nacht. »Wenn man mal so was andres hört, wird einem gleich besser.« Aber auch der Katzenpfötchentee fuhr fort, seine Wirkung zu tun, und was dem Kranken am meisten half, war, daß er die grünen Tropfen fortließ.
    »Hör, Engelke, am Ende wird es noch mal was. Wie gefallen dir meine Beine? Wenn ich drücke, keine Kute mehr.«
    »Gewiß, gnädiger Herr, es

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