Der Stechlin.
mit Armgard. Und dann ist da ein Professor, Kathedersozialist, von dem kein Mensch weiß, ob er die Gesellschaft einrenken oder aus den Fugen bringen will, und führt eine Adelige, mit kurzgeschnittenem Haar (die natürlich schriftstellert), zur Quadrille. Und dann bewegen sich da noch ein Afrikareisender, ein Architekt und ein Porträtmaler, und wenn sie nach den ersten Tänzen eine Pause machen, dann stellen sie ein lebendes Bild, wo ein Wilddieb von einem Edelmann erschossen wird, oder sie führen ein französisches Stück auf, das die Dame mit dem kurzgeschnittenen Haar übersetzt hat, ein sogenanntes Ehebruchsdrama, drin eine Advokatenfrau gefeiert wird, weil sie ihren Mann mit einem Taschenrevolver über den Haufen geschossen hat. Und dann gibt es Musikstücke, bei denen der Klavierspieler mit seiner langen Mähne über die Tasten hinfegt, und in einer Nebenstube sitzen andere und blättern in einem Album mit lauter Berühmtheiten, obenan natürlich der alte Wilhelm und Kaiser Friedrich und Bismarck und Moltke, und ganz gemütlich dazwischen Mazzini und Garibaldi, und Marx und Lassalle, die aber wenigstens tot sind, und daneben Bebel und Liebknecht. Und dann sagt Woldemar: ›Sehen Sie da den Bebel. Mein politischer Gegner, aber ein Mann von Gesinnung und Intelligenz.‹ Und wenn dann ein Adeliger aus der Residenz an ihn herantritt und ihm sagt: ›Ich bin überrascht, Herr von Stechlin - ich glaubte den Grafen Schwerin hier zu finden‹, dann sagt Woldemar: ›Ich habe die Fühlung mit diesem Herrn verloren.‹«
Der Pastor lachte. »Und Sie wollen sterben. Wer so lange sprechen kann, der lebt noch zehn Jahr.«
»Nichts, nichts. Ich halte Sie fest. Kommt es so, oder kommt es nicht so?«
»Nun, es kommt sicherlich nicht so.«
»Sind Sie dessen sicher?«
»Ganz sicher.«
»Dann sagen Sie mir, wie es kommt, aber ehrlich.«
»Nun, das kann ich leicht, und Sie haben mir selber den Weg gewiesen, als Sie gleich anfangs von ›König und Kronprinz‹ sprachen. Dieser Gegensatz existiert natürlich überall und in allen Lebensverhältnissen. Es kommen eben immer Tage, wo die Leute nach irgendeinem ›Kronprinzen‹ aussehn. Aber so gewiß das richtig ist, noch richtiger ist das andre: der Kronprinz, nach dem ausgeschaut wurde, hält nie das, was man von ihm erwartete. Manchmal kippt er gleich um und erklärt in plötzlich erwachter Pietät, im Sinne des Hochseligen weiterregieren zu wollen; in der Regel aber macht er einen leidlich ehrlichen Versuch, als Neugestalter aufzutreten, und holt ein Volksbeglückungsprogramm auch wirklich aus der Tasche. Nur nicht auf lange. ›Leicht beieinander wohnen die Gedanken, doch eng im Raume stoßen sich die Sachen.‹ Und nach einem halben Jahr lenkt der Neuerer wieder in alte Bahnen und Geleise ein.«
»Und so wird es Woldemar auch machen?«
»So wird es Woldemar auch machen. Wenigstens wird ihn die Lust sehr bald anwandeln, so halb und halb ins Alte wieder einzulenken.«
»Und diese Lust werden Sie natürlich bekämpfen. Sie haben ihm in den Kopf gesetzt, daß etwas durchaus Neues kommen müsse. Sogar ein neues Christentum.«
»Ich weiß nicht, ob ich so gesprochen habe; aber wenn ich so sprach, dies neue Christentum ist gerade das alte.«
»Glauben Sie das?«
»Ich glaub’ es. Und was besser ist: ich fühl’ es.«
»Nun gut, das mit dem neuen Christentum ist Ihre Sache; da will ich Ihnen nicht hineinreden. Aber das andre, da müssen Sie mir was versprechen. Besinnt er sich, und kommt er zu der Ansicht, daß das alte Preußen mit König und Armee, trotz all seiner Gebresten und altmodischen Geschichten, doch immer noch besser ist als das vom neuesten Datum und daß wir Alten vom Cremmer Damm und von Fehrbellin her, auch wenn es uns selber schlecht geht, immer noch mehr Herz für die Torgelowschen im Leibe haben als alle Torgelows zusammengenommen, kommt es zu solcher Rückbekehrung, dann , Lorenzen, stören Sie diesen Prozeß nicht. Sonst erschein’ ich Ihnen. Pastoren glauben zwar nicht an Gespenster, aber wenn welche kommen, graulen sie sich auch.«
Lorenzen legte seine Hand auf die Hand Dubslavs und streichelte sie, wie wenn er des Alten Sohn gewesen wäre. »Das alles, Herr von Stechlin, kann ich Ihnen gern versprechen. Ich habe Woldemar erzogen, als es mir oblag, und Sie haben in Ihrer Klugheit und Güte mich gewähren lassen. Jetzt ist Ihr Sohn ein vornehmer Herr und hat die Jahre. Sprechen hat seine Zeit, und Schweigen hat seine Zeit. Aber wenn Sie ihn
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