Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
der Bibliothekar, dessen Blick den Eindruck machte, als könnte er auch Marmor durchdringen, durch den dünnen Stoff schauen und entdecken könnte, was darunter war. Aber der Bibliothekar hatte Besseres zu tun, als sich um einen kleinen Jungen zu kümmern. Er blickte nicht einmal auf, und Gareth stolzierte unbehelligt aus der Königlichen Bibliothek und nahm seinen verborgenen Schatz mit.
Nachdem Silwyth an diesem Abend die Kerze gelöscht und das Schlafzimmer des Prinzen verlassen hatte, schlich sich Dagnarus in Gareths kleinen Alkoven. Dort legte er sich ins Bett. Gareth selbst kauerte auf einem Hocker, in eine Decke gewickelt, das Buch auf den Knien. Eine Kerze in einem hohen Ständer spendete Licht.
»Und jetzt«, sagte Dagnarus und lehnte sich bequem gegen Gareths Kissen, »sag mir, was in diesem Buch steht.«
»Euer Hoheit«, wagte Gareth noch einmal zu widersprechen, »ich denke, Ihr solltet das wirklich lieber selbst lesen.«
»Unsinn, Fleck«, erwiderte Dagnarus. »Du weißt doch, wie ich Gelehrsamkeit hasse. Und jetzt lies.« Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Und dann wirst du mir alles erklären, was ich nicht verstehe.«
Gareth schlug das Buch auf und begann mit der ersten Seite.
»Die Magie der Leere, auch bekannt als Todesmagie…«
Lady Valura
»Euer Majestät«, sagte die Garderobenverwalterin und knickste vor der Königin, »Seine Hoheit bitten um Erlaubnis, mit Euch sprechen zu dürfen.«
»Ach ja?« Die Königin blickte von ihrer Stickerei auf, einer Arbeit, die sie nie beendete, aber recht gern auf dem Schoß hatte. Eine ihrer Damen würde sie für sie fertig stellen,
letzte Hand anlegen,
wie die Königin es ausdrückte, obwohl sie selbst nur einen oder zwei Stiche gemacht hatte. »Schickt Seine Hoheit sofort herein. Nein, wartet.« Emillia schaute in einen Spiegel und legte die Hände aufs Haar. »Ich bin noch nicht in der Verfassung, ihn zu empfangen. Sagt Seiner Hoheit, dass ich ihn in…«
»Mutter«, erklang eine ungeduldige Stimme von draußen. Eine Stimme, die näher kam, begleitet vom Geräusch von Stiefelschritten. »Ich bin keiner von deinen Höflingen, die du warten lassen kannst.«
Prinz Dagnarus betrat das Zimmer.
Der Prinz war ein hübsches Kind gewesen. Nun, mit zwanzig – dem Alter, in dem Menschen die Volljährigkeit erlangten –, war Dagnarus ein Mann, dessen Aussehen, Haltung und Auftreten allen, die ihn sahen, Bewunderung abnötigten. Selbst jetzt, direkt nach der Rückkehr von einem Ausritt, mit windzerzaustem Haar, geröteten, sonnengebräunten Wangen und mit Schlamm bespritzter Reitkleidung, bewirkte sein Anblick, dass Adlige, die Stunden vor dem Spiegel verbracht hatten, um sich zu kämmen und zu schmücken, ihn neiderfüllt betrachteten.
Bei diesem vollkommen unerwarteten und unorthodoxen Eintreten des Prinzen rang die Garderobenverwalterin die Hände; die Hofdamen drängten sich zusammen, zwitscherten in vorgeblicher Bestürzung und versuchten, die Aufmerksamkeit des Prinzen auf sich zu lenken. Nur eine der Damen konzentrierte sich weiter auf ihre Nadelarbeit, zählte Stiche und hob nicht den Blick.
Die Hofdamen zwitscherten vergeblich, denn obwohl Dagnarus im heiratsfähigen Alter war, hatte noch keine der sehnsuchtsvollen adligen Damen und auch keine ihrer Töchter ein Seufzen auf die Lippen oder ein Glitzern in die kalten Smaragdaugen des Prinzen gebracht.
»Liebe schwächt einen Mann«, hatte der Prinz einmal verkündet, als er mit seinen Freunden Wein trank und die anderen Sonette auf diverse Rubinlippen schrieben. »Der Gedanke an ein geliebtes Gesicht in der Schlacht lässt den Schwertkämpfer zögern, wenn er zuschlagen sollte. Die Berührung der Hand der Geliebten lässt den Bogenschützen zucken, und die geliebten Lippen flehen einen Kommandanten an, den Rückzug zu befehlen, wenn er vorwärts marschieren sollte. Danke, meine Herren, ich würde eher auf die Pest als auf die Liebe trinken.« Und mit diesen Worten hatte er seinen Becher ins Feuer geschleudert.
Der Prinz hatte nicht auf die Liebe getrunken, aber viele Trinksprüche auf das Lieben ausgebracht. Hinter dem Rücken aller anderen bei Hof hielt Silwyth, der Kämmerer des Prinzen, einen Schatz an Silbertams bereit, um die Schmerzen verlassener Frauen zu lindern. Es gab in den Straßen von Vinnengael zahlreiche rothaarige Kinder, die von sich behaupten konnten, königliches Blut in den Adern zu haben.
Dagnarus war kein Mann, der sich von seinen Leidenschaften beherrschen
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