Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
sagte, es sei ihm eingefallen, als er den Stein der Könige in der Hand hielt.«
Evaristo starrte das Kind an. »Das hat er gesagt? Sprichst du die Wahrheit, Gareth? Das hier ist von äußerster Wichtigkeit. Wichtiger, als du es dir jemals vorstellen könntest.«
»Es ist die Wahrheit«, wiederholte Gareth, und seine Unterlippe zitterte.
»Ich glaube dir«, sagte Evaristo und versuchte, tröstlich zu lächeln. Er strich dem Jungen übers Haar.
Ich glaube dir,
wiederholte er bei sich.
Die Götter mögen uns helfen.
»Was ist denn los?«, fragte Gareth. »Ich verstehe das nicht.«
Aus Lügen kann nichts Gutes entstehen,
hatte der Ehrenwerteste Hohe Magus gesagt. Aber Evaristo konnte sich auch nicht vorstellen, dass etwas Gutes daraus entstehen könnte, diesem Jungen einfach die schlichte Wahrheit zu sagen. Zweifellos hatte der Ehrenwerteste Hohe Magus eine solche Situation nicht vorausgesehen. Evaristo befand sich auf unsicherem Boden. Er fürchtete, ein falsches Wort würde sie alle in den Abgrund stürzen. Er würde Rat suchen müssen. Und daher versuchte er, sich herauszuwinden.
»Erinnerst du dich an das Wort, das du vor einer Weile benutzt hast, dieses Wort, von dem ich sagte, es sei nicht sehr angenehm, und du solltest keine derartigen Begriffe mehr benutzen? Erinnerst du dich daran?«
»Ja.«
»Nun, es geht um eine solche Angelegenheit.«
»Ja?« Gareth schien ausgesprochen verwirrt.
»Du musst mir vertrauen, Gareth«, sagte Evaristo und hoffte, dass er sich nicht so hilflos anhörte, wie er sich fühlte. »Es gibt Dinge im Leben, die Kinder nicht verstehen können. Dies ist eines davon.«
»Ich wünschte, Ihr würdet es mir sagen«, wandte Gareth bescheiden ein. »Ich könnte zumindest versuchen, es zu verstehen.«
»Nein.« Nun hatte Evaristo sich entschieden. »Nein, das kann ich nicht. Nicht jetzt. Vielleicht ein andermal, aber nicht jetzt.« Er versuchte, die ganze Angelegenheit mit einem kleinen Scherz abzutun. »Ich verlasse mich darauf, dass es mit dieser Sache wie mit den Multiplikationstafeln geht und Seine Hoheit sie schnell vergessen wird, falls er sie nicht bereits vergessen hat. Er kann sie nicht für sonderlich wichtig halten, da er schon davongerannt ist, um mit seinem Pferd zu spielen.«
Gareth wirkte alles andere als überzeugt. Evaristo war es auch nicht. Er wusste nicht, was er noch sagen sollte, denn er fürchtete, bereits zu viel verraten zu haben. Er verabschiedete sich von dem Jungen und ging in einem leeren Flur auf und ab, bis es an der Zeit war, sich in die Große Bibliothek zu begeben.
Der Ehrenwerteste Hohe Magus saß in einem der kleinen Leseräume seitlich der Königlichen Bibliothek, einem Zimmer mit eigenem Steinlicht und einer eigenen Tür, die man schließen konnte, wenn ein Gelehrter allein arbeiten wollte.
»Er möchte nicht gestört werden.« Der Oberste Bibliothekar betrachtete Evaristo missbilligend, als er diesen Satz auf die Tafel schrieb.
»Hochwürden hat mich zu sich gebeten!«, schrieb Evaristo gereizt, denn er hatte keine Lust, sich zu streiten. »Bitte sagt ihm, dass ich hier bin.«
Der Bibliothekar machte sich also auf, wenn auch leise murrend. Er kehrte schließlich mit enttäuschter Miene und der Nachricht zurück, dass der Ehrenwerteste Hohe Magus Evaristo sofort empfangen würde. Evaristo betrat das kleine Studierzimmer und setzte sich dem Schreibtisch gegenüber. Der Ehrenwerteste Hohe Magus las ein Buch über die Magie der Leere.
»Nun?«, fragte Reinholt leise.
»Es ist schlimmer, als wir dachten«, erklärte Evaristo und sackte ein wenig in sich zusammen. Er fühlte sich vollkommen ausgepumpt und erschöpft. Er fragte sich, wie er die Kraft finden sollte, nach Hause zu gehen. »Wenn man Gareth glauben darf, ist Dagnarus die Idee zu der Zeichnung während der Zeremonie gekommen, als er den Stein der Könige in der Hand hielt.«
Der Ehrenwerteste Hohe Magus schwieg lange. Er starrte geradeaus, ohne etwas zu sehen. Schließlich schloss er die Augen und schüttelte den Kopf, seufzte und rieb sich die Augen. Als er sprach, schien er mehr mit sich selbst als mit Evaristo zu reden.
»Ich habe dem König geraten, mir Zeit zu lassen, den Stein der Könige zu erforschen. Ich habe ihn gedrängt, die Zeremonie aufzuschieben. Der Stein ist ein Werk der Götter. Wir haben keine Ahnung, worin seine Macht bestehen wird – ob sie zum Guten oder zum Bösen genutzt werden kann. Aber Seine Majestät hat sich anders entschieden. Die politische Situation
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