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Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis

Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis

Titel: Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Weis
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sollte man schon mit einer Leiche wollen?«, fragte Gareth angewidert und enttäuscht.
    »Es ist nicht einfach nur eine Leiche. Es ist eine lebendige Leiche«, erklärte der alte Mann. »Eine Leiche, die vollkommen lebendig wirkt. Die Leiche wird ihre Gestalt so lange behalten, wie sie die magische Rüstung trägt, die die Leere ihr gewährt. Kommt dir das irgendwie bekannt vor?« Der alte Mann lachte gackernd.
    »Aber das Schönste daran ist, dass diese Leiche, solange sie diese Gestalt hat, demjenigen dienen muss, der den Dolch benutzt hat. So wird dieser lebende Leichnam zum Gegenteil eines Paladins. Die Magie der Leere steht ihm zur Verfügung, wann immer er will. In seiner Rüstung ist er so stark wie zehn Männer, er kennt keine Angst, spürt keine Hitze, keine Kälte, spürt niemals Durst oder Hunger außer nach dem, was ihn am Leben hält.«
    »Und was ist das?«, fragte Gareth zögernd, entsetzt, fasziniert.
    »Seelen. Die Seelen jener, die das Unglück haben, ihm in den Weg zu geraten, wenn er Hunger hat. Er ernährt sich von den Sterbenden, und sie geben ihm Leben. Daher nennt man diese Geschöpfe auch
Vrykyl,
ein Wort aus der Elfensprache, das ›Leichenfresser‹ bedeutet.«
    Gareth erschauerte und zog seine Kutte fester um sich. Der Dolch war warm in seiner Hand, und er hielt ihn sehr fest.
    »Gibt es…« Er zögerte, unsicher, wie er fragen sollte, und nicht unbedingt sicher, ob er die Antwort überhaupt hören wollte. »Seid Ihr…«
    »Ein Vrykyl? Nein.« Der alte Mann verzog das Gesicht. »Wie sollte das möglich sein? Man darf den Dolch nicht an sich selbst benutzen, ebenso wenig wie Tamaros sich selbst zum Paladin machen kann. Es war die Magie der Leere, die mich so lange am Leben erhielt. Anders als bei den Vrykyl, kann diese Magie deine Jugend verlängern und dir Kraft geben. Deshalb liege ich jetzt hier wie eine zerbrochene Puppe«, meinte er verbittert. »Deshalb habe ich damit aufgehört, diesen elenden Bann zu wirken. Was soll das noch? Ich habe meine Pflicht getan. Und um deine nächste Frage zu beantworten, nein, es gibt heute keine Vrykyl. Und das liegt nicht daran, dass ich es nicht versucht hätte.«
    Der alte Mann brummelte leise vor sich hin und bewegte sich ruhelos unter den Decken. Er machte eine vage Handbewegung. »Es steht alles da drin, in diesem Buch. Ich habe alles aufgeschrieben, was ich über den Dolch weiß und das Ritual, das dazu nötig ist, jemanden zum Vrykyl zu machen. Wichtig ist, dass der Betreffende sich ganz der Leere weiht. Er muss ein akzeptabler Kandidat sein. Du kannst dich nicht einfach hinter irgendwen schleichen und ihm die Kehle durchschneiden und erwarten, dass er ein Vrykyl wird«, meinte der alte Mann gereizt und fügte leise hinzu: »Ich weiß es. Ich habe es versucht. Es funktioniert nicht. Der Dolch ist mir aus der Hand gefallen, noch bevor ich zustoßen konnte. Der Dolch trifft seine eigene Wahl. Oder genauer gesagt, die Leere tut es.«
    »Ich verstehe«, sagte Gareth nüchtern. Er hielt den Dolch ins Licht und betrachtete die Handwerksarbeit, staunte über die handwerklichen Details. Er wäre nicht sonderlich überrascht gewesen, wenn die Waffe sich in seinen Händen in einen echten Drachen verwandelt hätte.
    Der alte Mann seufzte tief, als wäre er eine gewaltige Last losgeworden. Mit zufriedener und entspannter Miene lehnte er sich wieder in die Kissen zurück.
    »Und nun gehört er dir, Gareth«, sagte er.
    »Ja«, erwiderte der junge Magus.
    Der Alte schloss die Augen. Seine Stimme war kaum mehr als ein Hauch. »Nun gehört er dir. Ich habe ihn weitergegeben, wie man es von mir verlangte. Du wirst ihn deinerseits weitergeben, wenn dein Ende kommt.«
    »Ja«, sagte Gareth abermals. Er drehte den Dolch in den Händen hin und her.
    »Du weißt, was zu tun ist, wenn ich gegangen bin?«
    »Ja«, sagte Gareth zum dritten Mal.
    »Es wird jetzt nicht mehr lange dauern. Ich bin müde. So müde.«
    Dann schwieg er. Alles, was Gareth noch hören konnte, war ein flaches, röchelndes Atmen und das Heulen und Rasseln des Sturms.
    Gareth stand auf, steif vom langen, regungslosen Sitzen. Er legte den Dolch auf den Tisch, griff nach dem Buch, schob seinen Hocker dichter zum Feuer, schlug das Buch auf und begann zu lesen.
    Als er wieder den Kopf hob, sah er zu der Kerze mit den Stundenmarkierungen hinüber. Verblüfft stellte er fest, dass bereits zwei Stunden vergangen waren. Draußen ließ, wenn man den Geräuschen nach gehen konnte, das Unwetter nach. Kein

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