Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
die anderen Mitglieder des Haushalts des Prinzen nahmen ihre Ehrenplätze in der ersten Reihe des riesigen, hallenden Amphitheaters ein. Silwyth machte sich zu einem kurzen Besuch am Altar der Elfen auf.
Sich ihrer Wichtigkeit sehr bewusst, ließen sich die Adligen mit stiller Würde auf ihren Plätzen nieder. Der Kämmerer hatte darum gebeten, angemessen respektvolles Schweigen zu wahren in der Hoffnung, dass dies den Rest der Menge beeinflussen würde. Aber diese Hoffnung war vergebens. Erregt von der Parade und der Aussicht auf die Zeremonie, nahmen die einfachen Leute nun unter lauten Gesprächen und hin und wieder einem unterdrückten Lachen die Plätze auf der Galerie ein, obwohl auch sie von der feierlichen Atmosphäre im Tempel beeindruckt waren.
Gareth war dankbar, dass er nicht mit Silwyth oder einem anderen sprechen musste. Die Gesichter der Götter, die über dem Altar abgebildet waren, schienen ihn tadelnd anzustarren. Er sagte sich selbst, dass dies eine alberne Vorstellung war, ebenso albern, wie an orkische Vorzeichen zu glauben. Er versuchte nicht hinzusehen, aber sein Blick wurde immer wieder in diese Richtung gezogen, und jedes Mal bemerkte er, dass sie streng zurückstarrten. Er wand sich hin und her, bis sein Nachbar – der Mundschenk des Prinzen – ihn missbilligend anschaute und den Kopf schüttelte.
Silwyth kehrte zurück und nahm seinen Platz ein. Der Elf, dessen Miene normalerweise ausdruckslos war, schaute ungewöhnlich grimmig drein.
»Was ist denn?«, flüsterte Gareth und zupfte am Ärmel von Silwyths Gewand. »Was ist passiert?«
Silwyth gönnte ihm kaum einen Blick und schüttelte den Kopf.
»Sagt es mir!«, beharrte Gareth, nun halb verrückt vor Angst.
Silwyth presste die Lippen zusammen, als müsste er sich wappnen. Dann sagte er sehr leise auf elfisch: »Mein Opfer wurde abgewiesen.«
Gareth starrte den Elf entsetzt an. Er wollte etwas sagen, wollte weitere Fragen stellen, aber er hatte nicht die Kraft dazu.
»Es ist kein schlechtes Zeichen für Seine Hoheit«, sagte Silwyth schließlich angespannt. »Das schlechte Zeichen gilt mir. Ich muss nachdenken, was dies bedeuten könnte.«
»Was könnte es bedeuten?«, wollte Gareth wissen, aber Silwyth zog sich in sich selbst zurück und sagte nichts mehr.
Gareth saß bedrückt da; er war so verängstigt, dass es ihn regelrecht krank machte. Wieder blickte er zu den schrecklichen Gestalten oberhalb des Altars auf und duckte sich.
Er senkte den Kopf in der Hoffnung, diese Furcht erregenden Blicke zu meiden, und er betete – das erste Gebet zu den Göttern, das wirklich tief aus seinem Herzen kam, seit er zehn gewesen war. »Wenn der Prinz stirbt, bestraft mich ebenfalls, denn ich bin so schuldig wie er!«
Die Menge hatte sich endlich niedergelassen. Die zehn Hohen Magier kamen herein, um die Ehrenplätze auf den zehn hochlehnigen Holzstühlen einzunehmen, die man auf der Bühne aufgestellt hatte.
Nun würde es nicht mehr lange dauern.
Gareths Hände waren eiskalt, und er hatte keinerlei Gefühl mehr in den Fingern. Er rieb sie, und als er das tat, spürte er, wie es in seinem Nacken kribbelte, als würde ihn jemand beobachten. Er drehte sich um, suchte die Reihen hinter sich ab und fand niemanden. Dann schaute er nach rechts und bemerkte die großen, verängstigten Augen von Lady Valura.
Sie saß auf der anderen Seite des Mittelganges, ebenfalls ganz vorn, denn ihr Mann war ein Paladin und würde an der Zeremonie teilnehmen. Sie war ungewöhnlich bleich, so bleich, dass eine ihrer Dienerinnen sie sachte fächelte. Valura hatte die Hand fest um den Türkisanhänger geklammert, den ihr Dagnarus gegeben hatte. Sie dachte nicht mehr an ihre Damen, an die Menge, die sie umgab, an ihren Mann, der jetzt zusammen mit den anderen Paladinen seinen Platz nahe dem Altar einnahm; sie starrte nur Gareth an. So sprechend waren ihre schönen Augen, dass er sie so gut verstand, als hätte sie ihm etwas zugerufen. Sie wollte getröstet werden.
Er hatte keinen Trost zu geben. Er versuchte zu lächeln, aber sein Lächeln musste wohl kläglich ausgefallen sein, denn es half ihr nicht. Lady Valura schien zusammenzusacken, und nun schloss sie die Augen. Ihre Zofe fächelte sie hektischer.
Die Menge jubelte, als die Königin und ihre Damen hereinkamen. Dann wurde der Jubel lauter – ein liebevolles Brüllen –, als der König den Tempel betrat. Er trug ein Samtgewand, das mit Hermelin eingefasst war, und ging ohne Hilfe zum Podest, auf dem
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