Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
ihre Taschentücher hervor und betupften sich die Augen.
Gareth seufzte und hob den Kopf.
Als Letztes ging Dagnarus zu seiner Mutter, die aufsprang, sich auf ihn stürzte und ihn weinend umarmte, bis er ein wenig gereizt reagierte, ihre Arme von seinem Hals löste und die schluchzende Emillia wieder ihren Damen übergab.
Schließlich wandte er den Blick noch einmal der Menge zu. Er sah direkt zu Valura hin, sah sie so deutlich an, dass Gareth wusste, dass ihre Liebe für alle Anwesenden vollkommen offensichtlich wurde und Silwyth auf Elfisch murmelte: »Tut ihr das nicht an, Euer Hoheit.«
Gareth konnte Lady Valura nicht sehen, denn sie hatte Schutz zwischen ihren Dienerinnen gesucht.
Endlich wandte Dagnarus den Blick ab und nahm seinen Platz am Altar ein.
»Ich bin bereit, Ehrenwertester Magus«, sagte er, und seine Stimme war eine Hymne auf seinen Sieg.
Die Zeremonie ging weiter, wie sie auch bei Helmos durchgeführt worden war; das Altartuch wurde entfernt, der Hohe Magus setzte sich auf seinen Stuhl. Man legte die Pergamentrolle vor ihm auf den Altar, zusammen mit dem Pinsel und dem Krug mit Lammblut. Er war bereit, den Willen der Götter zu vernehmen und den Titel aufzuschreiben, den Dagnarus von nun an als Paladin tragen würde.
»Lasst das Wunder der Verwandlung beginnen«, verkündete der Hohe Magus.
Dagnarus kniete vor dem Altar nieder. König Tamaros trat vor, legte beide Hände auf den gesenkten Kopf seines Sohnes und flehte die Götter an, diesem Kandidaten die Weisheit und die Macht eines Paladin zu verleihen.
»Bist du bereit, Dagnarus, Sohn des Tamaros, dein Leben dem Dienst an anderen zu weihen? Bist du bereit, dieses Leben, wenn es nötig wird, auch zu opfern, um andere zu retten?«
»Wenn die Götter es wollen, ja«, erwiderte Dagnarus.
Tamaros trat vom Altar zurück.
Dagnarus drehte sich um, wieder zu den Zuschauern hin. Er verschränkte die Arme vor der Brust, strahlte Selbstvertrauen, Ernst und Überzeugung aus. Gareth hielt den Atem an; er wartete darauf, dass Dagnarus schmerzlich das Gesicht verzog, wenn die Verwandlung begann.
Dagnarus stand still, den Kopf gesenkt.
Nichts geschah.
Er stand noch länger still. Es geschah immer noch nichts.
Die zehn Magier im Hintergrund wechselten rasche, unsichere Blicke. Die Paladine starrten geradeaus, mit starren Mienen, obwohl man hier und da einen Kiefermuskel zucken sehen konnte. König Tamaros runzelte die Stirn. Er packte die Armlehnen seines Stuhls fester. Dann warf er dem Ehrenwertesten Hohen Magus einen zornigen Blick zu.
Dieser wiederholte nervös und nicht sonderlich überzeugt: »Lasst das Wunder der Verwandlung beginnen.«
Aber es begann nicht. Nichts begann, überhaupt nichts.
Dagnarus stand vor dem Altar, vor dem Volk von Vinnengael, und nichts geschah mit ihm. Der wichtigste Schauspieler in diesem Stück hatte den Text vergessen. Der wichtigste Schauspieler wurde von den Göttern an die Wand gespielt. Die Verwandlung wurde ihm verweigert.
Ein leises Murmeln erklang aus dem Publikum. König Tamaros war rot vor Zorn. Helmos warf seinem Bruder einen mitleidigen Blick zu. Dann hörte man, wie Königin Emillia mit schriller Stimme rief: »Was ist denn los? Ich verstehe das nicht!«
Dagnarus hob den Kopf. Er war wütend. Sein Zorn strömte von ihm aus, drehte sich wie ein Wirbelsturm. Gareth spürte die Wucht dieses Zorns, die ihn auf seinen Sitz zurückdrückte. Er war nicht allein. Überall im Tempel keuchten die Leute, Kinder begannen zu weinen, die Altarkerzen flackerten.
Der Ehrenwerteste Hohe Magus kam auf die Beine. Seine Miene war ernst und streng. Noch nie zuvor war so etwas geschehen. Reinholt sah den König entschuldigend an. Tamaros warf dem Ehrenwertesten Hohen Magus einen wütenden Blick zu, aber Reinholt konnte nichts tun, und der König wusste das. Die Götter hatten gesprochen.
»Es tut mir sehr Leid, Prinz Dagnarus«, sagte der Ehrenwerteste Hohe Magus, »aber es scheint, dass die Götter Eure Kandidatur zurückgewiesen haben.«
Dagnarus ließ die Arme an die Seite sinken. Er ballte die Fäuste. Er bebte vor Zorn und Enttäuschung, und sein Gesicht war dunkelrot. Er biss sich auf die Lippen, so fest, dass ihm Blut übers Kinn lief. Man hatte ihm nicht nur seinen Herzenswunsch verweigert, man hatte ihn vor dem gesamten Königreich gedemütigt, vor seinem Vater und seiner Mutter, vor Valura, vor seinem Bruder.
»Nein!«, schrie Dagnarus, und sein Schrei wurde zu einem Gellen. »Nein!« Dann drehte er sich
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