Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
nicht sonderlich um Befehle scherten – Männer, die ebenso leicht einen Befehlshaber von hinten erstachen, wie sie ihm salutierten –, respektvoll grüßten und sich in Acht nahmen, wann immer der Vrykyl sich in ihrer Nähe aufhielt.
Die Armee hatte das Jahr im Lager auf den Grasebenen von Domah Ran an der Ostgrenze von Dunkarga verbracht. Dagnarus versuchte nicht, seine Streitmacht zu verbergen; tatsächlich führte er sie deutlich vor, denn er wusste, wie wichtig es sein konnte, den Feind zu entmutigen. Er wusste, dass Helmos' Spione ihn beobachteten, und er hieß sie willkommen. Sollten sie doch das riesige Heer beschreiben, das kurz davor stand, Vinnengael anzugreifen. Sollten sich die Menschen dort doch fürchten, sollte die Sorge an ihren Herzen nagen. Sollten die Kaufleute ihre Karawanen aufhalten, sollte der Handel ins Stocken geraten, die Wirtschaft leiden. Sollte die Stadt von innen heraus schwächer werden, sodass sie leichter fiele, wenn er sie schließlich von außen angriff.
Daher zögerte Dagnarus seinen Angriff bewusst hinaus. Als alle in Vinnengael erwarteten, dass Dagnarus, nachdem er Lord Mabreton entkommen war, sich sofort auf die Stadt stürzen würde, hatte er sie auf den Zinnen schwitzen lassen und stattdessen in aller Ruhe seine Krieger ausgebildet. Hin und wieder versammelte er seine Leute, ließ sie Vorräte aufladen und tat so, als würde er gleich den Befehl zum Abmarsch geben. Seine Spione berichteten ihm, dass die Bewohner von Vinnengael auf die Nachricht hin, Dagnarus sei auf dem Weg, Vorräte für eine Belagerung anhäuften. Er hörte Berichte über Bauern, die von ihren Feldern flohen, über Soldaten, die auf den Mauern warteten. Im letzten Augenblick verkündete er seinen Truppen, dass alles nur eine Übung gewesen war. Am nächsten Morgen drillte er sie wieder wie üblich auf der Steppe.
Zwei weitere Male machte er eine solche Finte. Seine Soldaten hatten es beim ersten Mal witzig gefunden, aber nun wurden sie unruhig wie Pferde, die aufstampfen und mit den Hufen scharren. Dagnarus würde sie nicht viel länger halten können. Aber das brauchte er auch nicht. Er wusste – die ganze Welt wusste –, dass Vinnengaels so genannte Verbündete sich geweigert hatten, ihre Teile des Steins der Könige wieder zurückzugeben.
Vinnengael stand allein und konnte nun nichts weiter unternehmen, als den westlichen Horizont voller Angst zu beobachten – einer Angst, die langsam der Müdigkeit wich, die ihrerseits schließlich von Verzweiflung ersetzt wurde: eine Stadt im Belagerungszustand, und innerhalb von hundert Meilen kein einziger Feind in Sicht.
Nachdem der Sommer zu Ende und die Ernte eingebracht war, sodass seine Truppen sich nur aus den Kornspeichern und Lagerhäusern am Weg nehmen mussten, was sie brauchten, gab Dagnarus den Befehl, sich auf den Abmarsch vorzubereiten. Diesmal wussten alle, dass er es ernst meinte.
»Wir nehmen sie in die Zange«, erklärte er seinen Generälen, die sich in dem Kommandozelt mit der schwarzen Fahne versammelt hatten. »Hier und hier.« Er zeigte auf eine auf einem großen Tisch ausgebreitete Landkarte.
Er trug seine schwarze, schimmernde, schreckliche Rüstung, wenn auch ohne den Helm, sodass seine Generäle sein Gesicht sehen und sich seiner Entschlossenheit bewusst sein konnten. Valura stand an seiner Seite, und sie trug Rüstung und Helm. Wenige sahen je ihr Gesicht, und diese wenigen bedauerten es, denn sie würden dieses wunderschöne und schreckliche Gesicht nie wieder vergessen. Sie war stets an Dagnarus' Seite, war seine Leibwächterin.
Silwyth war nun Quartiermeister und Verbindungsoffizier zwischen Dagnarus und seinen elfischen Truppen. Er half dabei, die vielen kleinen Missverständnisse zwischen den beiden Kulturen zu beheben. An diesem Tag war er vor allem als Übersetzer anwesend.
Auch Gareth war da. Er hatte zahlreiche Magier um sich gesammelt, die sich der Leere verschrieben hatten. Sie waren von jenen, die entweder wussten oder mutmaßten, wer sie waren, gemieden oder gar verfolgt worden, und Dagnarus' Armee bot ihnen nicht nur eine Zuflucht, sondern sie fanden hier auch Anerkennung und Respekt für ihre Begabungen. Obwohl Gareth den Jahren nach der Jüngste unter ihnen war, konnte er als einer der Ältesten gelten, was die Magie der Leere betraf, denn er hatte sie studiert, seit er ein Kind gewesen war, während die meisten anderen sich ihr erst als Erwachsene zugewandt hatten. Zum ersten Mal in seinem Leben behandelten
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