Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
hat«, erklärte Feuer ernst. »Wir können die Gefahr, die dir droht, nicht hoch genug einschätzen.«
»Ich verstehe«, erwiderte Tabita ruhig. »Und ich bin darauf vorbereitet. So die Götter es wollen, werde ich genügend Zeit haben, alles aufzuzeichnen, was geschieht, bevor ich sterbe.«
»Wir haben die besten und stärksten Omarah ausgewählt, um dich zu begleiten. Beide Armeen haben dir sicheres Geleit versprochen, aber man weiß nie, was im Chaos des Krieges geschehen kann.«
»Dessen bin ich mir bewusst«, sagte Tabita. »Um ehrlich zu sein, ich bin dieses Lebens sehr müde und würde gern meinen Platz im Katalog einnehmen.«
»Der Segen der Götter möge mit dir sein«, sagten alle vier Hüter gleichzeitig und verbeugten sich vor Tabita, die ihrerseits die Verbeugung erwiderte.
Das Klirren von Metall und schwere Schritte zeigten an, dass sich die Omarah-Leibwachen auf dem Klosterhof aufstellten. Tabita brauchte für ihre Reise nicht zu packen, denn die Hüter haben keinen persönlichen Besitz. Wenn sie reisen, leben sie von dem, was das Land bietet – ihre Leibwächter jagen und kochen, oder sie werden von jenen versorgt, denen sie unterwegs begegnen.
Nachdem sie die Vier verlassen hatte, machte sich Tabita auf den Weg zum Stall, um sich einen Esel auszusuchen. Es gab dort ein kleines, sanftmütiges graues Tier, das die alte Frau recht gern mochte, und Tabita hoffte, dass nicht ein anderer reisender Hüter es bereits mitgenommen hatte.
Sie betrat eine Art Gasse, die das Hauptgebäude vom Stall trennte. Diese Gasse liegt stets im Schatten, der entweder vom Gipfel des Berges geworfen wird, der über dem Kloster aufragt, oder vom Hauptgebäude selbst. Das Sonnenlicht dringt nie bis zum Boden der Gasse vor. Schnee, der im Winter fällt, bleibt dort das ganze Jahr über liegen, selbst wenn im Sonnenschein Blumen in den Gärten des Klosters blühen.
Tabita hatte das Ende der Gasse beinahe erreicht, und der Stall kam in Sicht, als ihr ein Schatten in den Weg trat. Die alte Frau hob den Kopf und betrachtete den Schatten forschend.
Ein Hüter stand vor ihr. Er war groß und hager, und anders als bei den anderen war praktisch sein gesamter Körper von seinem schwarzen Gewand verhüllt; selbst die Hände waren mit schwarzen Stoffstreifen umwickelt. Sein Gesicht war nicht zu erkennen, nur die Augen, die aus dem Dunkel herausspähten und dennoch so sehr zu diesem Dunkel zu gehören schienen, dass Tabita sie beinahe nicht als Augen erkannte, nur als dunklere Flecke von Dunkelheit.
Sie hatte in all ihren hundertsiebzig Jahren im Kloster (sie war als zehnjähriges Mädchen eingetreten) den fünften Hüter nie gesehen. Sie wusste allerdings sehr wohl, dass sie ihm nun gegenüberstand, und sie verbeugte sich tief und ehrfürchtig.
Der fünfte Hüter sprach kein Wort – Worte wären ohnehin von dem schwarzen Tuch gedämpft worden, das die untere Hälfte seines Gesichts bedeckte. Er streckte eine schwarz eingewickelte Hand aus und legte sie auf Tabitas nackten Schädel.
Die Berührung dieser Hand war selbst für teegewärmtes Blut kalt. Tabita erschauerte. Sie hielt den Kopf gesenkt, zu demütig, um aufzublicken! Die Hand wurde zurückgezogen. Tabita blieb mit gesenktem Kopf stehen, und erst als auch der Schatten verschwand und sie die Sonne am Ende der Gasse sah, begriff sie, dass sie wieder allein war.
Sie hatte den Segen des fünften Hüters erhalten. Sie war von der Leere berührt worden. Ehrfürchtig und zutiefst bewegt ging Tabita nun weiter zum Stall, wo sie zu ihrer großen Freude feststellte, dass diejenigen, die sich um die Esel kümmerten, schon von ihrer bevorstehenden Reise erfahren hatten und der fertig gesattelte graue Esel geduldig auf sie wartete.
Die Armee des Paladins der Leere war auf dem Marsch. Sie war dreißigtausend Mann stark, bestand aus Kriegern aus Dunkarga, angeführt von ihrem König, Dagnarus' Onkel, aus Elfenkriegern unter der Führung eines ihrer eigenen Generäle, die der Schild geschickt hatte, aus Trevenici, die immer froh waren, kämpfen zu können, egal wofür, die aber nun hofften, ihren Anspruch auf gewisse Landstriche festigen zu können, und einer Reihe von Söldnern, die mit dem Versprechen von Geld und reicher Beute unter Dagnarus' Banner gelockt worden waren.
Die Söldner wurden von Shakur angeführt, einem so draufgängerischen Kommandanten, dass selbst die grausamsten und gewissenlosesten Krieger, die nur um des Goldes willen kämpften und sich im Allgemeinen
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