Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
verehrten Personen in ganz Loerem. Sie widmen ihr Leben der Aufzeichnung der Geschichte auf ihren Körpern, tätowieren die Ereignisse auf ihre Haut. Wenn sie sterben, bleiben ihre Leichen als Aufzeichnung dieser Ereignisse im Kloster erhalten. Sie werden von allen Völkern gleichermaßen verehrt, und in allen Königreichen, die sie besuchten, erfahren sie die größten Ehrungen. König Tamaros und der Hüter waren im Palast unterwegs, als sie um eine Ecke bogen und auf Dagnarus und Gareth stießen, die Stockball spielten.
Ein unglücklicher Schlag des Prinzen sandte den Ball – ein mit Garn zusammengehaltenes Lumpenbündel – direkt am Ohr des Hüters vorbei.
Dagnarus begriff, dass er zu weit gegangen war. Er konnte bezaubernd sein, wenn er wollte, und er entschuldigte sich aufs Anmutigste.
Der Hüter, auf dessen Gewand der grüne Erddrache aufgestickt war, was ihn als einen sehr hochrangigen Hüter der Vergangenheit auswies, reagierte freundlich auf den Vorfall. Er sagte etwas in der Richtung von »Jungen sind eben Jungen, selbst wenn sie Prinzen sind.« König Tamaros entschuldigte sich ebenfalls bei ihm und schaute sehr ernst drein, als er seinen Gast weiterführte. Am nächsten Tag wurde Silwyth zum Kämmerer des Prinzen ernannt.
Die Jungen lernten Silwyth offiziell kennen, als ihr Unterricht gerade beendet war. Die Diener räumten die Reste des Mittagessens ab, als er in Begleitung des Kämmerers des Königs das Zimmer betrat. Silwyth war hoch gewachsen und hielt sich sehr gerade, sein Gesicht war bleich, seine Miene gleichmütig. Er trug die traditionelle elfische Kleidung – Seidenhosen, die seine Beine in ihrer ganzen Länge bedeckten (Elfen halten es für unanständig, die Beine zu entblößen, selbst wenn sie mit einer Strumpfhose bedeckt sind) und an den Knöcheln gerafft waren, und darüber ein weites, fließendes Seidenhemd, bestickt mit Vögeln und Blüten. Die mandelförmigen Augen des Elfen waren dunkelbraun, sein Haar jettschwarz, glatt zurückgestrichen und im Nacken zu einem Knoten gebunden.
Er verbeugte sich vor dem Prinzen, aber diese Verbeugung wirkte nicht unterwürfig. Es war der Gruß eines Gleichgestellten, der einem anderen adligen Herrn gegenübertrat. Dagnarus bemerkte das sofort und war ebenso schnell beleidigt. Er warf Gareth einen Blick zu, der bedeuten sollte: »Mit diesem Burschen werden wir kurzen Prozess machen.«
Gareth seufzte. Er hatte bemerkt, dass die Arme des Elfen zwar schlank, aber dennoch muskulös waren.
Der Kämmerer des Königs stellte sie einander offiziell und ausführlich vor, zunächst den Prinzen mit all seinen Namen und Titeln, dann den Elfen, wobei er das Haus des Elfen nannte, dann die Namen seines Vaters, Großvaters und Urgroßvaters.
»In wessen Dienst hast du gestanden, bevor du hergekommen bist?«, fragte Dagnarus, als hätte man ihm einen Bewerber für die Stelle eines Stallknechts präsentiert.
Der Kämmerer des Königs schnalzte missbilligend mit der Zunge, aber der Prinz ignorierte ihn.
»Ich diene dem Vater und der Mutter, Euer Hoheit«, erwiderte der Elf. »Und nach ihnen dem Göttlichen und dem Schild des Göttlichen. Danach diene ich…«
»Das meinte ich nicht«, fauchte Dagnarus. »Ich meinte, in wessen Dienst du standest. Wo bist du Diener gewesen, bevor du nach Vinnengael gekommen bist?«
»Ich bin kein Diener, Euer Hoheit. Ich bin ein Geringerer Wächter des Östlichen Waldes, was etwa dem Rang eines Grafen an Eurem Hof entspricht, Euer Hoheit.«
»Ein Graf?« Dagnarus war überrascht. Er nahm an, dass der Elf ihn belog. »Warum willst du dann mein Kämmerer sein?«
»Ich habe große Hochachtung vor Eurem Vater, König Tamaros«, erwiderte Silwyth und verbeugte sich, als er den Namen aussprach. »Es freut mich, ihm und seinem Sohn von Nutzen sein zu können.« Das war eigentlich keine Antwort, aber alles, was der Prinz erfahren würde – so viel war klar. Elfen sind bekannt dafür, wie gut sie ihre wahren Absichten verbergen können.
»Du wirst mich Dagnarus nennen«, erklärte der Prinz nach einer Weile. »Und das hier ist Fleck.«
»Der Prügelknabe«, fügte der Kämmerer des Königs mit einem verächtlichen Schnauben hinzu.
Silwyth sagte nichts weiter, sondern wiederholte die Namen und verbeugte sich vor jedem der beiden Jungen.
»Du
darfst ihn nicht Fleck nennen«, fuhr Dagnarus eingeschnappt fort, aber erst, nachdem der Kämmerer des Königs schon außer Hörweite war. »Ich bin der Einzige, der ihn so nennen darf.
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