Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
gegen ihre Gesetze und würde bewirken, dass sie sich von ihm abwandten. Rabe würde Trost im Tod finden, aber er würde kämpfend sterben, und wenn die Götter es wollten, eines oder mehrere dieser Geschöpfe mitnehmen.
Im Augenblick jedoch war er zu schwach zum Kämpfen. Er würde warten, bis er wieder Kraft hatte, und zuschlagen, wenn er zumindest eine Chance hatte, sein Ziel zu erreichen. Rabe dachte nicht einmal an Flucht. Er musste seine Schande rächen, aber das würde außer ihm und den Göttern nie jemand erfahren. Und um das zu tun, musste er den Feind besiegen, der ihn besiegt hatte.
Schmerzerfüllt richtete er sich auf. Das Halseisen war schwer und rieb auf seiner Haut. Es drückte sich in die Schultermuskeln, und Rabe verzog das Gesicht bei dem Gedanken daran, welche Schmerzen er nach diesem Tag haben würde. Er würde sie allerdings ohne Klage ertragen. Das hier war seine Strafe. Er hatte nichts anderes verdient.
Die Taan wirkten ausgesprochen aufgeregt. Sie hatten ein Lager errichtet. Ein Kreis von Zelten bildete den äußeren Rand, und drinnen befand sich ein weiter, offener Bereich, in dem rege Betriebsamkeit herrschte. Ein kleinerer Zeltkreis stand in der Mitte. Feuer brannten, und der Geruch nach Braten hing in der Luft und ließ Rabe das Wasser im Mund zusammenlaufen. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal etwas gegessen hatte.
Die meisten Taan schienen Krieger zu sein und trugen Rüstung und Waffen. Innerhalb des Kreises sah Rabe allerdings auch Taan ohne Rüstung. Die kümmerten sich um die Kochfeuer und um Wesen, die wie Kinder aussahen, denn sie waren jüngere, kleinere Versionen der Geschöpfe, die Rabe angegriffen hatten. Rabe war nicht der einzige Gefangene. Andere Menschen – sowohl Männer als auch Frauen – befanden sich in einem grob zusammengezimmerten Pferch aus Speeren, die im Kreis in den Boden gestoßen worden waren. Diese Gefangenen waren Bürger von Dunkarga, und man hatte sie, wie es aussah, erst vor kurzem gefangen genommen. Aus den Zelten der Ungeheuer erklangen schreckliche Schreie; wahrscheinlich wurden weitere Gefangene gefoltert. Rabe, der begriff, was das bedeutete, wandte seinen verblüfften Blick den Stadtmauern zu, die sich in einer Meile Entfernung erhoben.
Kein Kampfeslärm wurde mehr über das Präriegras zu ihnen geweht. Die Belagerungsmaschinen standen dort, wo sie in der vergangenen Nacht gestanden hatten. Reihen von Soldaten marschierten in die Stadt hinein. Das große eiserne Tor stand weit offen.
Dunkar war gefallen.
Rabe hörte Rufe und drehte sich wieder um. Die meisten Gefangenen waren Frauen und Mädchen, aber es gab auch ein paar Männer – die meisten in der Uniform der Armee von Dunkarga. Ein Taan, nur in einen Lendenschurz gekleidet, kam nun auf das Speergefängnis zu. Er zerrte eine Frau hinter sich her. Ihr Gesicht war zerschlagen, ihre Kleidung hing in Fetzen. Sie war blutüberströmt und mehr tot als lebendig. Zwei Taan bewachten die Gefangenen. Nach einem Blick auf die Frau machten sie Bemerkungen, die den dritten Taan grinsen ließen. Er schob zwei Speere beiseite und stieß die Frau in den Kreis. Dann sah er die anderen erschrockenen Frauen mit der Haltung eines Mannes an, der Vieh beurteilt.
Zufrieden streckte er die Hand aus und griff nach einem etwa sechzehnjährigen Mädchen. Das Mädchen schrie entsetzt auf und versuchte sich loszureißen. Ein dunkarganischer Soldat packte sie und schien mit den Taan verhandeln zu wollen. Der Taan schlug den Soldaten so fest ins Gesicht, dass dieser rückwärts zu Boden fiel. Dann packte er das sich wehrende Mädchen am langen, schwarzen Haar, wickelte sich eine dicke Strähne um die Hand, riss sie aus dem Käfig heraus und zerrte sie in Richtung seines Zeltes. Nun wusste Rabe, wer da schrie und warum.
Andere gefangene Frauen versuchten, der Verletzten zu helfen, kleideten sie mit was auch immer sie entbehren konnten und verbanden ihre Wunden. Sie schien nicht einmal zu bemerken, dass man ihr half. Bei diesem Anblick verlor der Soldat aus Dunkarga die Beherrschung. Die Taan hatten ihm das Schwert abgenommen. Er riss sein Messer aus dem Stiefel, sprang durch den Speerkreis, rannte hinter dem Taan mit dem Mädchen her und wollte das Geschöpf von hinten erstechen.
Die Taan-Wachen ließen sich davon kaum stören. Sie hielten sogar noch einen Augenblick inne, tauschten Bemerkungen aus und lachten höhnisch. Dann hob einer mit einer lässigen Bewegung seinen Speer und warf ihn
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