Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
nahm. In diesen Augenhöhlen entdeckte Gustav die gleiche Leere, wie er sie nach Adelas Tod im Herzen getragen hatte.
Gustav sah seinen eigenen Tod in diesen leeren Augen. Er konnte nicht gegen dieses Ding ankämpfen. Er konnte sich nicht regen, um sich zu verteidigen. Die Macht der Leere stülpte ihn um, saugte ihn aus, nahm ihm seinen Lebenswillen.
Das Schwefelholz ging aus und verbrannte Gustavs Daumen. Der Schmerz erinnerte ihn daran, dass er immer noch lebte. Und solange er lebte, konnte er kämpfen. Bevor die Flamme vollkommen niedergebrannt war, hatte er ein kleines Messer aus Knochen in der Skeletthand der Leiche wahrgenommen.
Die Leiche griff Gustav an, stach mit dem Messer zu. So rasch und geschickt war der Angriff – direkt aufs Herz gezielt –, dass Gustav kaum Zeit blieb, nach seinem Schwert zu greifen. Er wäre umgekommen, hätte sich nicht die magische Rüstung des Paladins über seinen Körper ergossen. Das Messer in der Skeletthand traf auf Stahl. Die Rüstung lenkte die Klinge vom Herzen ab, konnte sie aber nicht vollkommen aufhalten. Nur wenige Waffen können die gesegnete Rüstung eines Paladins durchdringen, und das hier war eine davon – eine Waffe aus Magie der Leere. Die Klinge verfehlte das Herz, traf Gustav aber in die linke Schulter.
Der Schmerz war entsetzlich, ein stechender, brennender Schmerz, der sich durch seinen Körper bis tief in die Seele bohrte. Der Schmerz zog seinen Magen zusammen und ließ ihn würgen.
Der Leichnam gab ein unirdisches Geräusch von sich, einen gedämpften Schrei, als käme er tief aus dem Grab. Gustav kämpfte gegen den ungeheuerlichen Schmerz an, der bewirkte, dass ihm schwindlig wurde, als hätte man ihn vergiftet, und hob das Schwert. Die Leiche war jetzt ganz nah. Er konnte das Kratzen ihrer Fingernägel an seiner Rüstung spüren. Er stieß der Leiche die Klinge in die Brust.
Er hatte Knochen erwartet, aber die Klinge traf auf Stahl. Wegen der Wucht des Aufpralls hätte er beinahe die Waffe fallen lassen. Aber er erkannte an einem schmerzerfüllten Grunzen seiner Gegnerin, dass er sie tatsächlich verwundet hatte.
Gustav nutzte die Tatsache, dass die Leiche einen Augenblick abgelenkt war, um aus dem Zelt zu entkommen. Er trat die Töpfe beiseite, die er vor der Zeltklappe gelassen hatte, taumelte hinaus in die Nacht und drehte sich sofort wieder um, um sich seiner Gegnerin zu stellen, die nicht weit hinter ihm sein würde. Seine Rüstung schimmerte silbern im Dunkel.
Die Leiche kam aus dem Zelt und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Im silbernen Licht seiner eigenen gesegneten Rüstung stand Gustav seinem Widerpart gegenüber.
Die Gestalt trug eine Rüstung, die schwärzer war als die dunkelste Nacht. Es war eine entsetzliche Rüstung, wie der Panzer eines monströsen Insekts, mit rasiermesserscharfen Stacheln an den Ellbogen und Schultern und einem Helm, der wie der Kopf einer Gottesanbeterin geformt war mit hervorquellenden Augen voller Leere. Das Geschöpf hatte sein kleines Messer nicht mehr in der Hand, sondern benutzte nun ein riesiges schwarzes Schwert mit widerwärtigen Sägekanten. Nun wusste Gustav, wem er da gegenüberstand.
»Ein Vrykyl«, hauchte er.
Ein Geschöpf der Mythen und Legenden. Ein lebendig gewordener Alptraum. Es hatte Gerüchte gegeben, Gerüchte darüber, dass diese uralten Dämonen wieder in Loerem umgingen. Es hieß, sie seien für die Zerstörung von Alt-Vinnengael verantwortlich gewesen.
Der Vrykyl schwang die Klinge – ein Schlag, der die Fähigkeiten und die Kraft des Gegners prüfen sollte.
Gustav konnte parieren, aber der Schlag hätte ihm beinahe die Waffe aus der Hand gerissen. Er brauchte einen Augenblick, um sich wieder zu sammeln, und spürte einen ersten Anflug von Verzweiflung. Er konnte viel besser mit dem Schwert umgehen als dieser Vrykyl, aber der Vrykyl hatte die Kraft der Magie der Leere, die Kraft eines Wesens, das über keine Muskeln verfügt, die schmerzen können, und über kein Herz, das aussetzen kann. Gustav war verwundet, und er war alt. Er spürte bereits, wie er schwächer wurde.
Er hatte nur eine einzige Chance, und die bestand darin, den Kampf rasch zu beenden. Seine magische Waffe, gesegnet von den Göttern, konnte durch die verfluchte Rüstung dringen. Er musste nur eine verwundbare Stelle finden und rasch und tödlich zuschlagen. Er beobachtete und wartete grimmig und geduldig. Der Vrykyl erkannte seine Schwäche. Die Kreatur stürzte sich auf ihn, das Schwert hoch
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