Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
der Laterne. Mit den Überresten des Zündmaterials schlug er ein paar Funken, die er auf die ölgetränkten Lumpen sprühen ließ, die einmal seine Decke gewesen waren. Der Stoff fing sofort Feuer. Gustav sah einen Moment lang zu, um sich zu überzeugen, dass es sich auch ausbreitete. Als die Flammen begannen, an den Seiten des Zeltes zu lecken, und die Hitze intensiver wurde, ging er ein paar Schritte weiter. Er stand vor dem Zelt, sah zu, wie es heller loderte, und achtete darauf, dass alles verschlungen wurde. Dicker, schwarzer Rauch hob sich in die Luft. Zufrieden mit dem Gedanken, dass kaum etwas übrig bleiben würde, stieg er aufs Pferd. Er besaß nur noch die Kleidung, die er trug, Schwert und Scheide, seine magischen Handschuhe und ein Stück des magischen Rucksacks.
Er würde an diesem Tag angestrengt reiten müssen. Er war nicht daran gewöhnt, ohne Sattel zu reiten, und wusste, dass er am Ende dieser Reise wund und steif sein würde. Gustav machte sich keine falschen Hoffnungen. Der Vrykyl würde ihn wieder angreifen. Er musste eine Möglichkeit finden, dem Rat der Paladine eine Botschaft zu schicken.
Er musste eine Möglichkeit finden, ihnen von seinem großen Erfolg zu berichten und sie vor der schrecklichen Gefahr zu warnen.
Gustav war einigermaßen sicher, dass er nicht lange genug leben würde, um es ihnen persönlich erzählen zu können.
In dem Teil von Loerem, in dem sich auch Paladin Gustav aufhielt, gab es eine Stadt, die Wildenstadt hieß. An dem Tag, als Gustav seine Besitztümer verbrannte, weil der Vrykyl sie berührt hatte, kamen zwei Personen nach Wildenstadt. Es scheint unmöglich. Obwohl diese beiden Ereignisse auf den ersten Blick kaum etwas miteinander zu tun hatten, sollte schon die nahe Zukunft etwas anderes zeigen.
Wildenstadt war ein Name, der falsche Erwartungen weckte. Der Ort war weder von sonderlich wilden Personen bewohnt – obwohl sie sich das manchmal gern einbildeten –, noch konnte er als Stadt bezeichnet werden. Wildenstadt war im Grunde eher so etwas wie eine Pilzwucherung, denn es war mehr oder weniger über Nacht an einer Wegkreuzung entstanden, von der aus eine Straße nach Süden zu einer Stadt führte, die den Namen tatsächlich zu Recht trug – nach Vilda Harn –, und eine andere Straße zu einer Furt durch den Kleinen Blauen Fluss.
Wildenstadt bestand nur aus sieben roh zusammengezimmerten Hütten. Vier dieser Hütten waren, in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit: eine Kneipe, ein Bordell, eine Schmiede und ein Tempel der Heilkunst, der sogar über ein leicht verblasstes, aber immer noch beeindruckendes goldenes Gildenzeichen verfügte. Die anderen drei Hütten waren derzeit von Ungeziefer bewohnt, von zwei-, vier- und sechsbeinigem.
Wildenstadt konnte sich eines Marktes rühmen, wenn man vier Stände einen Markt nennen konnte, und eines Brunnens mit erstaunlich klarem, kaltem Wasser. An diesem Brunnen saß den ganzen Tag über ein zerlumptes Kind, sammelte Kupferstücke und stellte den Gemeinschaftskrug zur Verfügung, den es – für ein weiteres Kupferstück – mit dem Saum seines zerrissenen, schmutzigen Hemdes abwischen würde.
Ein erfahrener Reisender hätte, je nach seinem Charakter, für Wildenstadt nur einen verächtlichen oder mitleidigen Blick übrig gehabt und wäre weitergeritten. Die beiden jungen Männer, die nach Wildenstadt kamen, waren allerdings alles andere als erfahren und betrachteten die heruntergekommenen Gebäude und die müden, faltigen Huren voller Staunen und Ehrfurcht. In ihren Augen waren die Huren die schönsten Frauen, die sie je gesehen hatten, die Hütten die großartigsten je von Menschenhand errichteten Gebäude, der Markt das Finanzzentrum des Universums und die Kneipe ein Ort, den nur wahre Männer betreten durften.
»Sieh mal«, sagte einer der beiden und hob eine kleine, schlanke Hand, um den anderen, erheblich größeren Jungen am Ärmel zu zupfen. »Diese blonde Frau dort winkt dir zu.«
»Selbstverständlich, Bashae«, erwiderte Jessan schulterzuckend. »Sie hat wahrscheinlich nie zuvor einen Trevinici-Krieger gesehen, nur verweichlichte Städter wie den da drüben.« Sein abfälliger Blick fiel auf einen kleinen, mageren Kerl in weitem, geflicktem Gewand, der auf einem großen Ziegelstein hockte, welcher die Schwelle des Tempels der Heilkunst darstellte, und sich mit einem Blatt von einer Elefantenohrpflanze fächelte.
»Was hat das Schild über ihm zu bedeuten?«, fragte Bashae.
Jessan hatte gehofft,
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