Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
einmischen musst.«
Dann griff er nach den Waffeln und aß sie selbst.
Nach dem Mittagessen machte der Schild des Göttlichen einen Verdauungsspaziergang im Garten. Er hatte am Nachmittag viel zu tun, denn er musste noch Briefe schreiben. Da elfische Botschaften immer in der Form kunstvoller Gedichte verfasst werden, drohte ihn diese Aufgabe bis spät in die Nacht zu beschäftigen. Allerdings musste er die Gedichte, den Ahnen sei Dank, nicht selbst verfassen. Der Schild war nicht mit einem Sinn für Worte gesegnet. Er hatte elfische Schreiber eingestellt, die von Kindheit an für solche Arbeiten ausgebildet wurden.
Diese Poeten seines Hauses wollte er gerade zu sich rufen, als ein Diener am anderen Ende des Spazierwegs auftauchte, sich verbeugte und in dieser Stellung verharrte, bis der Schild sich dazu herabließ, ihn zur Kenntnis zu nehmen. Der Diener war der Leibdiener des Schilds, ein Mann, der in der kleinen Welt des Haushalts eine so hohe Stellung einnahm wie der Schild in der größeren Welt. Dieser Diener war als Hüter der Schlüssel bekannt, denn er verwahrte alle Schlüssel zu allen Schlössern im Haushalt, was ihn zu einem sehr mächtigen Mann machte.
Nur wenige Elfenzimmer haben tatsächlich Schlösser an den Türen. Es gibt nicht einmal viele Elfenzimmer, die Türen haben, denn die Elfen ziehen es vor, in ihren Gärten zu leben, in denen es viele kunstvoll angelegte Nischen und Grotten, Hecken, Baumreihen und Blumenbeete gibt. Der Hüter verwahrte die Schlüssel zu den Truhen mit den Schriftrollen, in denen die Geschichte der Familie aufgezeichnet war, die Schlüssel zu den Truhen mit dem Vermögen der Familie, den Schlüssel zu den Truhen mit den Juwelen und den Schlüssel zu der Höhle, in der der Schild seinen Wein lagerte. Außerdem war der Hüter der Schlüssel verantwortlich für alle anderen Diener des Haushaltes. Vor allem gehörte es zu seinen Pflichten zu wissen, welche von ihnen Spione waren und für welche Häuser sie arbeiteten. Er war verantwortlich für die persönliche Bequemlichkeit des Schilds und für seine geschäftlichen Angelegenheiten, für den Terminplan des Schilds und für die Planung seiner Reisen.
Der Schild wusste, dass ihn der Hüter der Schlüssel nicht unterbrechen würde, wenn es nicht um etwas Dringendes ging, und daher winkte er den Mann zu sich.
Der Hüter näherte sich bis auf den vorgeschriebenen Abstand, dann verbeugte er sich abermals und verkündete: »Lady Godelieve ist eingetroffen, Herr. Lady Godelieve weiß, wie kostbar Eure Zeit ist, und sie ist sich dessen bewusst, dass sie nicht würdig ist, auch nur eine Sekunde davon in Anspruch zu nehmen, aber sie fleht Euch an, ihre Unwürdigkeit zu übersehen und ihr die Gunst einer Audienz zu gewähren. Die Angelegenheit ist von äußerster Wichtigkeit, sonst würde sie niemals auch nur im Traum daran denken, Euch unter die Augen zu treten, so unbedeutend, wie sie ist.«
»Unbedeutend!« Der Schild lächelte. Lady Godelieve war eine der schönsten, verlockendsten Frauen, die er je kennen gelernt hatte. Außerdem war sie ebenso geheimnisvoll wie schön, denn sie ging mit großer Kunstfertigkeit allen Gesprächen über ihre Vergangenheit aus dem Weg. Er wusste sehr wenig von ihr, nur dass sie aus dem Haus Mabreton stammte, einem Haus, das nach dem Fall von Alt-Vinnengael einen Krieg mit dem Haus Kinnoth begonnen hatte, der beide Familien so gut wie ruiniert hatte. Mabreton hatte gesiegt, aber der Krieg hatte mehr Leben und Geld gekostet, als das Haus hatte entbehren können, und nun, zweihundert Jahre später, war das Haus Mabreton immer noch ruiniert.
Das Haus Kinnoth hatte allerdings ein noch schlimmeres Schicksal ereilt, denn eines seiner Mitglieder hatte sich mit dem Elf verschworen, der damals Schild gewesen war, um zwei Angehörige des Hauses Mabreton zu töten, und dann Anteil an der Verführung einer Dame dieses Hauses durch genau jenen Prinzen Dagnarus gehabt, von dem der Ehrenwerte Ahnherr zuvor gesprochen hatte. Dieser elfische Adlige, mit Namen Silwyth war ebenso wie alle Mitglieder des Hauses Kinnoth zum Ausgestoßenen erklärt worden. Alle ihre Besitzansprüche, Ländereien und Ämter wurden vom neuen Schild des Göttlichen (dem zuvor erwähnten Ahnherren des derzeitigen Schilds) übernommen. Das Oberhaupt des Hauses Kinnoth »verlangte« den Tod, wie es der Brauch wollte. Der Name des Hauses wurde aus den Annalen von Tromek getilgt.
Das Haus Kinnoth wurde hinfort als verflucht betrachtet und
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