Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
hatte nach elfischem Gesetz kein Recht mehr auf Schutz. Seine Angehörigen wurden weder am Hof des Göttlichen noch an dem des Schilds zugelassen. Kenntlich an ihrer Familientätowierung, die, wie es dem Brauch entsprach, um die Augen herum vorgenommen wurde, wurden jene Mitglieder des Hauses Kinnoth, die sich in andere Teile des elfischen Reichs wagten, dort gemieden, aus Läden gejagt, und nicht in Gasthäuser eingelassen. Jeder, der es wagte, das Territorium des Hauses Mabreton zu betreten, wurde auf der Stelle getötet. Und so würden sie weiterhin bestraft werden, bis ein Mitglied dieses Hauses entweder etwas sehr Heldenhaftes oder von großem Mitgefühl Geprägtes vollbringen würde. Dann würde ihr Fall dem Göttlichen erneut vorgelegt werden, der in Anerkennung dieser Tat das Haus Kinnoth vielleicht auf seinen angestammten Platz in der Elfengesellschaft zurückkehren lassen würde.
Aber so sehr die Angehörigen des Hauses Mabreton das Haus Kinnoth auch hassten, sie hassten die Angehörigen des Hauses Trovale, dem der Göttliche entstammte, beinahe ebenso inbrünstig, denn sie gaben dem Göttlichen die Schuld an ihrer finanziellen Situation. Sie glaubten fest daran, dass ein großer Teil ihres Wohlstands in den Truhen des Göttlichen gelandet war.
Wenn man Lady Godelieve (ihr Name bedeutete in der Elfensprache »Geliebt von den Göttern«) glauben konnte, bestand der Plan der Mabretons darin, zum Sturz des Göttlichen beizutragen, um zurückzuerhalten, was man ihnen gestohlen hatte. Zu diesem Zweck hatten sich die Mabretons nun mit einem Menschen zusammengetan, der sich nun König Dagnarus nannte. Die schöne Lady Godelieve war die geheime Botschafterin der Mabretons bei Dagnarus. Und als solche war sie zum Schild gekommen, um ihn auf die Seite der Mabretons zu ziehen.
»Wo ist die Dame?«, fragte der Schild.
»Im zehnten Garten, Herr«, erwiderte der Hüter. »Ich weiß, dass sie hoch in Eurer Gunst steht. Man hat ihr eine Erfrischung angeboten, die sie mit der Begründung ablehnte, dass sie in der Mittagshitze nie etwas zu sich nimmt.«
»Bring sie sofort zu mir«, sagte der Schild. »Nein, warte. Bring sie zur Insel. Ich werde sie dort treffen.«
Der Hüter nickte und verbeugte sich zum Abschied.
Der abgeschiedenste Bereich auf den ausgedehnten Ländereien des Schilds war ein großer, kristallblauer See, der von Trauerweiden umgeben war. Eine inmitten des Teichs festgemachte Barke, wurde allgemein als »Die Insel« bezeichnet. Es handelte sich um ein Wunder der Handwerkskunst, einen schwimmenden Hof mit einem seidenen Baldachin, der jene, die sich dort aufhielten, vor der Sonne schützte. Eine Zugbrücke reichte vom Ufer zur Barke. Wenn der Schild und seine Gäste die Brücke überquert hatten, wurde sie hochgezogen. Soldaten standen an der Brücke und rund um den Teich Wache. Es war bei Todesstrafe verboten, die Brücke zu überqueren, was dem Schild und seinen Begleitern absolute Zurückgezogenheit verschaffte – etwas, was in elfischen Haushalten, wo man Lauschen für eine Kunst hält, selten war.
Der Schild erreichte die Barke als Erster. Er ließ sich unter dem Seidenbaldachin nieder, bewunderte den schönen Tag und freute sich darauf, bald auch die Schönheit von Lady Godelieve bewundern zu dürfen. Er brauchte nicht lange zu warten. Der Hüter der Schlüssel erschien mit der Dame. Sie trug ein seidenes Gewand, das schlicht und nicht extravagant war. Als Angehörige eines verarmten Hauses wusste sie, wo ihr Platz war, und ihr war klar, dass man allzu aufwendige Kleidung nur als einen Versuch betrachten würde, sich über ihre Stellung hinaus zu erheben. Ihre Schönheit war jedoch von solcher Art, dass sie sich ebenso gut in Sackleinen hätte hüllen können, und sie wäre immer noch die am meisten bewunderte Frau im ganzen Land gewesen. Ihre Haut war makellos und hell, ihre Lippen zeigten einen Hauch von Karneol. Dunkle Regenbogen schimmerten in ihrem langen schwarzen Haar. Ihre mandelförmigen Augen waren groß und bezaubernd, und so viele Geheimnisse lagen in ihrer Tiefe – kummervolle Geheimnisse, nahm der Schild an, denn Lady Godelieve lächelte so gut wie nie.
Der Schild empfing die Dame mit sorgfältig berechneter Höflichkeit. Sie verbeugte sich ausführlich und nahm seine Großzügigkeit, sie zu empfangen, mit einer Demut entgegen, die ihr schmeichelte. Der Schild bat sie, im Sessel mit der besten Aussicht Platz zu nehmen, überzeugte sich, dass sie es bequem hatte und fragte sie,
Weitere Kostenlose Bücher