Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
Oberschenkel aufzuschlitzen.
Jedash hatte Ranessa zuvor nicht einmal gesehen. Ihn interessierte nur der Zwerg. Zum Glück hatte er einmal einen Ork getötet, also hatte er seine Gestalt in die eines Orks verwandelt. Er war gerade dabei zu fliehen, als er Ranessa schreien hörte. Stolpernd kam der Vrykyl zum Stehen. Verblüfft und furchtsam starrte er an, was ihm da entgegen kam. Das hatte er nicht erwartet. Nicht einmal annähernd.
Er würde auf keinen Fall dagegen kämpfen. Er drehte sich um, machte sich auf den Rückzug und musste feststellen, dass die Orks allesamt verschwunden waren. Jedash in Orkgestalt war der einzige Ork auf der Straße. Mit im Feuerschein glitzernden Schwertern kamen die karnuanischen Bürger näher, entschlossen, ihren Zorn an dem einzigen Ork auszulassen, der noch übrig geblieben war.
In seiner wahren Gestalt hätte der Vrykyl mit den Karnuanern kurzen Prozess gemacht. Er hätte vielleicht auch eine Chance gegen Ranessa gehabt, aber das wäre ein schwerer Kampf gewesen, einer, den er lieber nicht wagen wollte. Also warf Jedash den Zwerg nach den sich nähernden Karnuanern. Der heulende Wolfram krachte gegen sie und warf sie um wie Kegel. Jedash rannte eilig davon und verfluchte Shakur, der ihn auf diese unerträgliche Mission geschickt hatte, ohne ihm alle Einzelheiten zu verraten.
Ranessa folgte ihm, dachte nur daran, den Vrykyl zu erwischen und das Geschöpf zu töten. Ihr Schwert wurde aber immer schwerer und rutschte ihr beinahe aus der Hand, denn ihre Hände waren schweißnass. Sie war nicht daran gewöhnt, so zu rennen. Die Beine taten ihr weh, sie hatte Schmerzen in der Seite und war ziemlich atemlos. Mit einem letzten Schrei, der sowohl ein Siegesschrei als auch eine Herausforderung war, blieb sie keuchend mitten auf der Straße stehen.
Sie warf das schwere Schwert aufs Straßenpflaster, rang ihre schmerzenden Hände und ging dann zu Wolfram und den Karnuanern, die damit beschäftigt waren, sich aus dem Menschenknäuel zu befreien. Ranessa streckte die Hand aus, um dem Zwerg auf die Beine zu helfen.
Wolfram griff nach ihrer Hand. Sie riss ihn hoch und hätte ihn damit beinahe in die Luft geworfen.
»Danke, Mädchen«, sagte er zittrig. »Du hast mir das Leben gerettet.«
»Das habe ich, wie?«, Sie wirkte sehr zufrieden. »Obwohl ich wünschte, ich hätte eine Chance gehabt, mit dem Schwert zuzuschlagen. Bist du verletzt?«
Wolfram schüttelte den Kopf. Er hatte ein paar blaue Flecken, sein Knöchel tat weh, seine Rippen waren geprellt, wo dieses Orkding ihn gepackt hatte, und er hatte einen langen, tiefen Kratzer am Arm, der von einem Karnuanischen Schwert stammte.
Die Karnuaner beäugten Ranessa misstrauisch. Sie waren alles andere als erfreut, dass sie ihnen geholfen hatte – ihrer Ansicht nach hatte sie sie um eine Gelegenheit zur Rache gebracht. Da Wolfram Karnuaner und ihre Denkweise kannte, ging er davon aus, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis ihnen einfiel, ihren Zorn an den anderen Fremden in der Stadt auszulassen.
»Es geht mir gut«, sagte er also. »Verschwinden wir von hier.«
Ranessa war ganz seiner Ansicht. Sie hatte genug Zeit innerhalb dieser Mauern verbracht. Sie wollte gehen.
»Diese Straße da führt zum Hafen«, erklärte sie.
Wolfram war erfreut und dankbar zu sehen, dass ihre Pferde immer noch am Trog standen. Sie liebten den Zwerg und hatten trotz ihrer Angst vor dem Vrykyl nicht daran gedacht davonzulaufen. Wolfram packte die Zügel und machte sich hinkend auf den Weg zur Stiefelstraße.
Ranessa ging neben ihm her. Das Schweigen war nun ein Trost für beide. Die Gefahr, in der sie sich beide befunden hatten, der Blick in das schreckliche Maul der Leere, die unausgesprochenen Ängste banden sie aneinander.
»Wo gehen wir hin?«, fragte sie schließlich. »Zu einem Schuhmacher?«
»Osim«, antwortete Wolfram. »In der Stiefelstraße.«
»Sieht so aus, als wäre der größte Teil der Stadt am Brennen. Dein Schuhmacher ist vielleicht nur noch ein Häufchen Asche.«
»Das ist gleich«, meinte Wolfram. »Es hat eigentlich nichts mit ihm zu tun. Aber hinter seinem Laden sind die öffentlichen Latrinen.«
Der Zwerg grinste, und seine Zähne blitzten weiß in seinem mit Ruß bedeckten Gesicht. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Orks die angezündet haben. In den Latrinen gibt es ein Portal, einen magischen Tunnel durch Zeit und Raum. Das ist der eigentliche Grund, weshalb wir hergekommen sind.«
»Wird dieser Tunnel uns von hier
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