Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
die Höhenluft ein, und er lachte vor reiner Freude.
Bashae hatte die Augen fest zugekniffen. Er schüttelte fest den Kopf, als Arim ihn drängte, doch hinzusehen. Damra hatte keine Zeit, sich um ihre Mitreiterin zu kümmern. Sie beobachtete, was am Boden geschah, und fürchtete, dass man sie entdecken würde. Aber zum Glück waren alle damit beschäftigt, die Kriegsnachrichten zu verarbeiten. Falls jemand beobachtet hatte, wie drei Hippogryphe aus dem Wald aufflogen, hatten sie offenbar angenommen, dass es mit den Kriegsvorbereitungen zusammenhing.
Schließlich ließ die Gruppe die roten Schindeldächer des Palastes des Göttlichen hinter sich, und Damra entspannte sich ein wenig. Sie waren entkommen. Der Weg vor ihnen war offen. Wie der Hippogryph gesagt hatte, war das Reisewetter hervorragend.
Die Sonne, die an diesem Morgen im Tromek-Land schien, hatte jene Regionen noch nicht erreicht, wo Jessans Onkel Rabenschwinge in Ketten unterwegs war. Jessan dachte nicht an seinen Onkel. Rabe lag wach und dachte an seinen Neffen, dachte an seine ganze Familie und die Freunde und Kameraden, die er nie Wiedersehen würde. Rabe wachte häufig vor der Morgendämmerung auf. Er schlief unruhig und lauschte allen Geräuschen des Lagers. Die Taan brachen morgens gern früh auf, spätestens bei Sonnenaufgang, was bedeutete, dass er und die anderen Sklaven ebenfalls früh aufstanden. Diese wenigen Momente, bevor die Taan sich rührten, waren die einzigen ungestörten Augenblicke, die ihm blieben.
Häufig wandten sich seine Gedanken Plänen und Intrigen zu, in denen es um sein einziges Ziel im Leben ging. Er verbrachte diese kurzen Momente damit, vom Kampf zu träumen oder sich Möglichkeiten auszudenken, wie es ihm gelingen könnte, Qu-tok dazu zu verleiten, mit ihm zu kämpfen. Bisher hatte nichts Erfolg gehabt. Rabes Beleidigungen amüsierten Qu-tok, und am Ende litt nur Rabe, der jedes Mal bestraft wurde, wie man Sklaven eben bestrafte. Er erhielt kein Essen oder wurde geschlagen, aber man ließ ihn nicht wirklich hungern, und er wurde auch nicht ernsthaft verwundet. So wie Menschen auf einen wilden Hund stolz sein können, war Qu-tok stolz auf Rabes Toben. Die Halbtaan Durzor erzählte, dass Qu-tok häufig abends am Lagerfeuer voller Genuss von den Zornesausbrüchen seines Sklaven berichtete, um die Krieger zu unterhalten.
An diesem Tag wandten sich Rabes Gedanken seinem Neffen zu, der auf einer ganz anderen Straße unterwegs war. Vielleicht würde Jessan irgendwo zusehen, wie dieselbe Sonne darum kämpfte, sich über den Horizont zu heben. Rabe sandte einen lautlosen Segen zu seinem Neffen und jenen, die ihm anvertraut waren. Dann kehrten seine Gedanken wie ein Pferd, das an ein Wasserrad gekettet ist, zurück in den Kreis, in die tief eingekerbte Spur, die sein Hass gezogen hatte.
Die Sklavenkarawane bestand aus etwa fünfhundert Personen, überwiegend menschliche Männer, die man zu den Minen transportierte, wo sie Gold und Silber fördern sollten, um Dagnarus' Kriegsmaschinerie zu finanzieren. Die menschlichen Frauen in der Karawane wurden von den Taan beansprucht. Ihr Leben war die Hölle auf Erden, denn sie wurden bei Nacht brutal missbraucht und am Tag dazu gezwungen, für die Taan zu arbeiten. Viele starben unterwegs, entweder, weil ein Taan sie für einen geringfügigen Verstoß gegen die Regeln tötete oder weil sie krank wurden. Die Taan warfen die Kranken beiseite, um sie allein am Wegesrand sterben zu lassen, denn sie betrachten Krankheit als Schwäche. Eine Frau verlor den Verstand und ertränkte sich in einem Fluss. Die anderen taten kaum mehr, als von einem Tag zum anderen zu überleben bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie die elenden Halbblutkinder zur Welt brachten, mit denen einige nun schwanger waren.
Die Männer wurden besser behandelt, denn sie stellten eine wertvollere Ware dar und mussten ihr Ziel in guter Verfassung für schwere Arbeit erreichen. Die meisten waren jung und stark, denn die Älteren und Kranken waren längst gestorben. Die Männer waren in langen Reihen von fünfundzwanzig aneinander gekettet und dazu gezwungen, gefesselt zu marschieren. Falls jemand dazu zu schwach war, stützten ihn seine Kameraden, denn die Taan lösten die Ketten nicht. Wenn ein Sklave auf dem Marsch starb, blieb seinen Kameraden nichts anderes übrig, als seine Leiche weiter zuschleppen oder sie bis zur Nacht über den Boden zu zerren, wenn die Taan endlich die Leiche von der Kette lösten und in eine Grube warfen.
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