Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
Bewusstsein.
Dur-zor ließ ihr Kep-ker fallen und beugte sich über Rabe. Sie legte ihm einen Finger an den Hals, überprüfte seinen Pulsschlag, blickte dann auf und verkündete stolz: »Der Puls ist noch stark. Er lebt.«
Die Taan sahen einander an, dann wandten sie sich dem Vrykyl zu. Keiner wusste, was er tun sollte. Die Taan-Krieger bewunderten Rabes Mut und seine Zähigkeit. Sie waren beeindruckt davon, wie er Qu-tok getötet hatte. Aber er war ein Sklave, und ein Sklave, der es gewagt hatte, die Hand gegen seinen Herrn zu erheben, musste bestraft werden, ganz gleich, wie mutig er gewesen sein mochte. Normalerweise hätten die Taan ihn tagelang gefoltert, als abschreckendes Beispiel für die anderen Sklaven, bevor sie ihm schließlich gestattet hätten zu sterben. Danach hätten sie ihm die Ehre erwiesen, ihn zu essen, und sich sogar darüber gestritten oder darum gekämpft, wer sein Herz haben durfte. Nun jedoch sahen die Taan K'let an, dankbar, weil er ihnen die Gelegenheit gegeben hatte, diesen Kampf zu sehen, aber auch unsicher, weil sie nicht wussten, was er nun von ihnen erwartete.
K'let kam von der Hügelkuppe herunter. Begleitet von seinen Leibwachen – riesigen Taan mit wunderbaren Rüstungen – ging der Vrykyl durch die Menge, die sich vor ihm teilte. Viele seiner Anhänger streckten die Hände aus, um ihn im Vorbeigehen zu berühren. Die Leibwache des Vrykyl war in Wahrheit eine Ehrengarde, denn kein Taan, nicht einmal seine schlimmsten Feinde, hätten es gewagt, ihn anzugreifen, und es war recht unwahrscheinlich, dass einer von ihnen eine Chance gehabt hätte. Die Mitglieder von Dag-ruks Stamm wichen zurück, als er näher kam, und beobachteten ihn voller Hochachtung, aber auch misstrauisch.
K'let baute sich vor Rabe auf und schaute auf den bewusstlosen, blutbeschmierten Menschen nieder, der immer noch den Eisenkragen eines Sklaven trug. Seine Kette war nun mit einer Leiche verbunden.
»Dieser Mensch hat das Herz eines Taan«, erklärte K'let, und die anderen Taan schnalzten zustimmend mit der Zunge. »Er ist starkes Essen«, fuhr K'let fort. »Ich selbst würde mich geehrt fühlen, von seinem Fleisch essen zu dürfen.«
Die anderen Taan stimmten abermals zu, und einige schlugen mit ihren Waffen auf den Boden oder gegen ihre Brustharnische.
»Ich kenne nur einen anderen Menschen, der so stark ist«, sagte K'let, »Dagnarus.«
Die Taan, die K'let folgten, grinsten einander an. Die Taan, die Dag-ruk folgten, schwiegen und verzogen die Gesichter. Dagnarus war kein Mensch. Er war ein Gott, der aus irgendeinem unerforschlichen Grund Menschengestalt angenommen hatte.
»Ja, genau, ich sage, dass Dagnarus ein Mensch ist«, erklärte K'let. Er trug einen Helm, der die Maske eines wilden, grimassierenden Taan zeigte, und nun wandte er dieses furchterregende Gesicht den Kriegern von Dag-ruks Stamm zu. »Ich weiß, dass er ein Mensch ist. Ich war von Anfang an bei ihm. Und so sah ich damals aus.«
Die Rüstung des Vrykyl verschwand. An seiner Stelle stand ein Taan. Er war hoch gewachsen und muskulös, sein Körper bedeckt mit den Narben vieler Kämpfe. Seine Haut wies nicht das Braun der Häute der anderen Taan auf. K'lets Haut war weiß. Sein Haar war weiß, seine Augen waren leuchtend rot. Kein Taan war von dieser Verwandlung überrascht. Alle kannten K'lets Geschichte, denn dies war auch die Geschichte ihres eigenen Gottes. Die Taan liebten diese Geschichte allerdings und hatten nichts dagegen, sie noch einmal zu hören.
»Ich kam mit weißer Haut zur Welt, eine Schande für meine Eltern. Der Stamm mied mich, drohte viele Male, mich auszustoßen. Dann erschien Dagnarus unter uns. Er war ein Mensch, aber er war mächtig. Der mächtigste Mensch, den je einer von uns gesehen hatte. Er kämpfte gegen den Nizam unseres Stammes und tötete ihn. Wir ehrten ihn und erklärten, er würde unser Nizam sein. Dagnarus weigerte sich. Er verkündete, einen Wettbewerb abhalten zu wollen, um einen neuen Nizam zu wählen. In jenen Tagen kämpften wir bis zum Tod um das Recht, Anführer zu sein. Nicht wie heute, nachdem die Taan schwach geworden sind.«
K'let sah sich wütend um, und seine Augen blitzten. Ein paar Taan senkten die Köpfe, aber andere – unter ihnen Dag-ruk – starrten ihn trotzig an.
»Ich ging zu Dagnarus«, fuhr K'let fort. »Ich verehrte ihn damals ebenso, wie es alle Taan taten. Ich erklärte, ich würde ihn als Gott akzeptieren, wenn er mir die Kraft geben würde, den Kampf zu gewinnen.
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