Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
neues Wunder und einen neuen Grund zum Staunen erblickte, sehnte sich Bashae nach dem Pecwae, der er einmal gewesen war, dem Jungen, der sich schon für einen erbärmlichen Haufen von Bruchbuden begeistern konnte. Er hatte inzwischen großartige Dinge gesehen, an die er sich für den Rest seiner Tage erinnern würde, aber er hatte auch etwas verloren. Er war nicht ganz sicher, um was es sich handelte, aber er spürte diesen Verlust ganz deutlich.
Jessan ritt unter den Torbögen hindurch und fühlte sich sofort erdrückt. Er achtete wenig auf die Schönheit der Stadt, sondern schaute sehnsuchtsvoll zu dem grünen Grasland und den Wäldern zurück, die sie hinter sich ließen. Er konnte die Wunder der Stadt nicht genießen, für ihn gab es hier nur üble Gerüche und weit aufgerissene Mäuler und Augen.
Der Rest von Shadamehrs Gefolge achtete nicht weiter auf die Stadt. Sie waren schon häufig hier gewesen, und die meisten freuten sich auf ein Lieblingsgasthaus, eine Lieblingsschänke, etwas zu essen, einen Krug Bier und ein ordentliches Bett.
Nur die Großmutter war beeindruckt. Nur die Großmutter war von Ehrfurcht erfüllt. Sie war so entzückt von allem, was sie sah, dass sie sogar vergaß, es dem Achataugenstock zu zeigen, der sich dazu gezwungen sah, von seiner Position hinter Damras Sattel aus zu erspähen, was immer möglich war.
Als Damra die Großmutter leise seufzen hörte, drehte sie sich um und sah die alte Pecwae-Frau an, die hinter ihr ritt.
»Was ist denn los, Großmutter?«, fragte Damra, denn sie sah Tränen über die faltigen Wangen laufen.
Die Großmutter schüttelte den Kopf und schnaubte.
Damra verstand das nicht und dachte, die Pecwae sei entweder verängstigt oder überwältigt, und sie sagte etwas Tröstliches, woraufhin die Großmutter wieder schnaubte.
Shadamehr stieß wieder zu seinen Begleitern, die vor dem Haupttor der Stadt auf ihn gewartet hatten. Der Verkehr nach Neu-Vinnengael und aus der Stadt heraus war so dicht, dass man zwei unterschiedliche Straßen errichtet hatte, um damit zurechtzukommen, die sich unter zwei riesigen Torbögen hindurchwanden. Auf jeder Straße führte der Verkehr nur in eine Richtung. Karren und Wagen rumpelten in verschiedene Richtungen, einige auf einer Straße auf die Stadt zu, die anderen verließen sie auf der Gegenspur. Ein großes Torhaus war im Mittelpfosten zwischen den Torbögen eingebaut. Wachen stellten jenen, die die Stadt betraten oder verließen, Routinefragen, durchsuchten die Wagen, dann schickten sie sie weiter.
An diesem Tag war das Tor nach beiden Seiten verstopft. Ein Kaufmann, den man gezwungen hatte, seinen Wagen abzuladen, um zu beweisen, dass er nichts Illegales mit sich führte, verfluchte die Wachen laut. Straßenjungen waren überall im Weg und hofften, sich ein paar Münzen zu verdienen, indem sie neu in der Stadt eingetroffene Reisende zu ihrem Ziel führten. Müßiggänger lehnten sich an die Mauern, die Hände in den Taschen, und warteten, bis die Schänken bei Sonnenuntergang öffnen würden. Hausierer standen direkt innen im Tor und priesen lauthals ihre Waren an. Taschendiebe hielten Ausschau nach glotzenden Bauern und betrunkenen adligen Damen.
Aber nichts war in Vinnengael in Ordnung. Die vinnengaelische Flagge war auf Halbmast, und wohin Shadamehr auch schaute, hatte man Säulen und Statuen schwarz verhüllt. Die Kaufleute und die einfacheren Bürger trugen schwarze Bänder oder hatten sich große, schwarze Stoffblüten an die Brust gesteckt. Adlige kleideten sich vollkommen in Schwarz. Die Wachen am Tor leisteten die gleiche Arbeit wie immer, aber auch sie wirkten bedrückt.
Shadamehr war in der Stadt gut bekannt, wenn auch eher dem Ruf als dem Anblick nach, denn er mied Neu-Vinnengael normalerweise, wie er es ausdrückte »ebenso wie Stinktiere, Spinnen und ehrgeizige Mütter mit heiratswilligen Töchtern.« Sein Wappen – ein zum Sprung geduckter Leopard – auf seiner Pferdedecke wurde sofort erkannt. Die Soldaten grüßten ihn erfreut. Offiziere kamen aus dem Wachhaus, um ihm die Hand zu schütteln. Leute, die Schlange standen, um in die Stadt gelassen zu werden, hörten seinen Namen und starrten ihn an, und einige fragten ihre Nachbarn furchtsam, ob er nicht ein berüchtigter Bandit sei und wieso die Wachen ihn nicht festnahmen.
Die Straßenjungen, die Geld rochen, umdrängten ihn sofort, schrien so laut sie konnten und streckten schmutzige Hände aus. Die Taschendiebe warfen einen Blick auf die scharfen
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