Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
grauen Augen und machten sich auf die Suche nach leichterer Beute. Die Nichtstuer drängten sich näher heran und reckten die Hälse in der Hoffnung auf Unterhaltung. Shadamehrs Pferd, ein wildes, misslauniges Tier, wurde nervös.
Shadamehr musste absteigen, um das Pferd zu beruhigen und es davon abzuhalten, die Straßenjungen zu beißen. Daher fiel ihm nicht auf, dass jemand am Tor ihn intensiv anstarrte, dann auf ein wartendes Pferd sprang und in der Menge verschwand.
Ulaf hatte es jedoch bemerkt, ebenso wie Alise. Sie sprang aus dem Sattel und winkte Ulaf zu, dasselbe zu tun.
»Ich bleibe hier oben nicht allein!«, sagte Bashae, und bevor Ulaf ihn aufhalten konnte, war er vom Pferderücken geglitten und auf der Straße gelandet.
»Bleib in meiner Nähe!«, befahl Ulaf.
Bashae nickte und tat, was man ihm gesagt hatte. Jessan, der Bashae auf der Straße stehen sah, stieg ebenfalls ab und ging näher zu seinem Freund. Auf Shadamehrs Vorschlag hin hatten sie Bashae als Menschenkind verkleidet und ihm eine Mütze aufgesetzt, die seine spitzen Ohren bedeckte. Niemand in der Menge achtete auf ihn. Er starrte staunend die unzähligen Menschen an.
Die Großmutter schubste Damra in den Rücken.
»Lass mich von diesem Tier runter.«
Damra drehte sich um. »Ich würde das nicht raten, Großmutter. Es sind so viele Menschen hier, und die Stadt ist groß und fremd. Falls Ihr Euch verirren solltet – «
»Bah!«, schnaubte die Großmutter. »Lass mich runter. Jemand muss auf diese jungen Leute aufpassen.«
Sie zeigte mit dem Stock auf Jessan und Bashae, und bevor Damra noch reagieren konnte, war die alte Frau rückwärts vom Pferd gerutscht und sicher auf ihren Füßen gelandet. Anders als Bashae trug sie weiterhin ihre Pecwae-Kleidung, und mehrere Leute starrten sie an und zeigten auf sie.
Die Großmutter ignorierte das Starren und stapfte zu Bashae. Sie schubste ihm mit einem knochigen Finger in die Rippen. »Es wird Ärger geben«, sagte sie auf Twithil.
»Das überrascht mich nicht«, erwiderte Bashae.
Er hatte beschlossen, dass er die Menschen in dieser Stadt, die riesigen Gebäude, die übel riechende Luft und die hoch gewachsenen Soldaten mit ihren schimmernden Rüstungen und glänzenden Schwertern nicht mochte.
»Ja«, sagte sie. »Der Stock hat es mir gesagt. Aber mach dir keine Gedanken. Ich habe sie gefunden.«
»Was gefunden?«, fragte Bashae.
»Die Schlafstadt«, erklärte die Großmutter. »Die Stadt, die ich jede Nacht aufsuche. Das hier ist der richtige Ort. Mein Geist und mein Körper sind sich endlich begegnet.«
Die Großmutter seufzte zufrieden, sah sich um, lächelte in sich hinein und nickte hier und da bei einem vertrauten Anblick.
»Wahrhaftig, Großmutter? Dein Geist kommt hier her?« Bashae war verblüfft. »An diesen schrecklichen Ort?«
»Schrecklich? Was ist daran schrecklich?«, fragte die Großmutter beleidigt. »Wohin sollte ich sonst gehen?«
»Ich… ich weiß es nicht. Vielleicht dorthin, wo ich hin gehe. Ich gehe unter den Weidenbäumen nahe dem Fluss entlang.«
»Bäume! Flusswasser! Davon habe ich in meinem Leben genug gesehen.« Die Großmutter schnaubte verächtlich. »Aber das hier.« Sie zeigte mit dem Stock auf einen Mann, der auf der Straße Pferdedung aufschaufelte und in einen Wagen lud. »Das hier ist etwas Besonderes. Bäume und Wasser!«
»Ja«, sagte Bashae, der beobachtete, wie der Mann hinter dem Pferd sauber machte, »das ist etwas Besonderes.«
»Wir sollten Shadamehr warnen«, sagte Alise zu Ulaf, »Ich komme mit.«
Ulaf nickte. Er drängte sich hinter Alise durch die Menge und wies die Pecwae an, in seiner Nähe zu bleiben, aber er war zu beschäftigt, um sich darum zu kümmern, ob sie es auch wirklich taten.
Jessan befahl Bashae und der Großmutter, dicht beieinander zu bleiben, und da er annahm, die Pecwae würden das auch tun, drängte er sich selbst weiter, um in Ulafs Nähe zu bleiben, weil er herausfinden wollte, was los war.
Bashae setzte dazu an, Jessan zu folgen. Die Großmutter legte ihm die Hand auf die Schulter und hielt ihn zurück.
»Der Stock sagt mir, wir sollten verschwinden«, sagte sie leise.
Shadamehr unterhielt sich mit einem der Offiziere, einem Hauptmann Jemid, den er aus seiner Jugendzeit kannte. Nach dem Austausch von ein paar Erinnerungen, in denen es um eine bestimmte Kneipe ging, sagte Shadamehr beiläufig: »Die ganze Stadt scheint in Trauer zu sein, mein Freund. Wer ist gestorben?« Hauptmann Jemid starrte ihn an.
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