Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
willens gewesen, sich ihm allein zu stellen. Also hatte er es für das Beste gehalten, sich sofort mit seinem Kommandanten in Verbindung zu setzen.
Shakur hätte Jedash gerne für immer der Leere überantwortet, aber dieses Vorrecht gebührte allein Prinz Dagnarus, und Shakur wollte die Aufmerksamkeit ungern auf ein weiteres Versagen lenken. Jedash kam mit einem Tadel davon und wurde nach Neu-Vinnengael geschickt, um dort auf neue Befehle zu warten. Der Vrykyl war froh über diesen Auftrag, denn Neu-Vinnengael war eine große Stadt mit einer riesigen Bevölkerung, eine Stadt, in der es nicht ungewöhnlich war, die Leiche eines Betrunkenen mit einer tödlichen Messerwunde im Herzen in einer Gosse zu finden. Jedash ernährte sich gut und vertrieb sich die Zeit auf angenehme Weise. Dann traf Shakur ein, und Jedash blieb nichts anderes übrig, als sich an die Arbeit zu machen. Jedashs Auftrag bestand darin, am Tor zu bleiben und Tag und Nacht Ausschau nach einem elfischen Paladin zu halten, der mit einem Trevinici und zwei Pecwae unterwegs war. Der Vrykyl tat, was man ihm befohlen hatte, und nahm dabei abwechselnd die Gestalten seiner vielen Opfer an, so dass er keine Aufmerksamkeit auf sich zog. Er konnte an einem einzigen Tag drei unterschiedliche Personen darstellen, von einem fetten Kaufmann über eine Hure bis zu einem Bauern. Jedash hatte keine Ahnung, was Shakur plante. Man braucht wohl nicht besonders zu betonen, dass Jedash im Augenblick nicht zu Shakurs Lieblingen zählte. Das war dem Vrykyl gleich. Er war nicht ehrgeizig, aber er wollte es vermeiden, endgültig der Leere übergeben zu werden, er wollte weiter sein Blutmesser schwingen, um sein Überleben zu sichern. Ihm war klar, dass er sich bewähren musste. Jedash hatte erst ein paar Tage zuvor seinen Posten bezogen, und es war ihm noch nicht einmal richtig langweilig geworden, als der Baron und seine Gruppe auch schon eintrafen. Jedash sah den Boten eilig zum Palast reiten und beobachtete die darauffolgende Verhaftung enttäuscht, denn er hielt seinen Auftrag für erledigt.
Dann fiel ihm etwas auf. Seine Anweisung hatte dahingehend gelautet, einen elfischen Paladin, einen Trevinici und zwei Pecwae zu finden. Der Paladin und der Trevinici waren weggebracht worden, aber die Wachen hatten die beiden Pecwae nicht erwischt. Jedash sah sie am Rand der Menge stehen, von wo aus sie beobachteten, was mit ihren Freunden geschah. Als die Soldaten Shadamehr wegbrachten, folgten ihnen die beiden.
Fasziniert folgte Jedash seinerseits den Pecwae. Sie verhielten sich nicht so, als hätten sie Angst. Ganz im Gegenteil. Die ältere Pecwae ging zielbewussten Schrittes, und sie zeigte ihrem Enkel die Sehenswürdigkeiten auf eine Weise, als hätte sie ihn zu einem Besuch hierher gebracht. Nachdem er ihnen mehrere Straßen weit gefolgt war, legte Jedash die Hand an sein Knochenmesser und gab die Informationen an Shakur weiter.
»Bring sie zu mir«, lautete der Befehl.
»Es wird mir ein Vergnügen sein«, sagte Jedash.
Der Tempel der Magier und der königliche Palast standen einander genau in der Mitte von Nord-Vinnengael gegenüber. Der Tempel sollte dem Betrachter das Gefühl geben, dass in diesem Gebäudekomplex die Macht der Götter auf Erden ruhte, das Gebäude sollte das Heilige und Ewige in Stein fassen. Der Palast des Königs sollte einem Betrachter vermitteln, dass sich hier die Macht der Menschen auf Erden konzentrierte, und das Gebäude sollte ein vollendeter Ausdruck weltlicher und politischer Macht sein.
Andere Völker hatten vielleicht oder tatsächlich andere Vorstellungen. Die Orks glauben, dass die Götter auf dem Berg S'Gra leben. Die Nimoreaner sehen Götter in allem Lebendigen. Die Elfen verachten allein schon den Gedanken, dass sich Götter in einem Steingebäude aufhalten könnten. Aber selbst die heftigsten Kritiker von Neu-Vinnengael müssen zugeben, dass diese Gebäude Ehrfurcht erwecken. Wenn schon nichts anderes, dann sind sie doch ein Beweis der Kreativität der Menschheit, der Liebe der Menschen zur Schönheit und ihres Bedürfnisses, diese Liebe auszudrücken.
Der Hauptteil des Tempelkomplexes ist der Tempel selbst, ein Gebäude, dessen Linien die Augen dem Himmel zuwenden. Hohe, schmale Türme dringen bis in die Wolken vor. Strebepfeiler tragen die erdengebundenen Träume der Menschheit in anmutigen Bögen zu den Türmen, die sie weiter zum Himmel emporheben. Riesige Doppeltore aus gehämmertem Gold stehen Tag und Nacht offen, um den
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