Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
benutze ich meine Magie ausschließlich zur Verteidigung. Etwas anderes zu tun wäre unehrenhaft.«
Der Offizier verbeugte sich vor beiden Elfen, dann winkte er einem Adjutanten. »Schick jemanden zur Regentin«, sagte er, denn er wollte die Verantwortung nicht selbst tragen. »Finde heraus, was wir tun sollen.«
Nachdem der Adjutant weg war, unterhielt sich Shadamehr angeregt mit den Wachen. Die Elfen wirkten distanziert und gleichgültig. Die Wachen durchsuchten Jessan, verzogen das Gesicht, wenn sie die fettige Lederkleidung berühren mussten, die er trug, und machten unhöfliche Bemerkungen, als wäre er nicht nur ein Barbar, sondern auch noch taubstumm. Sein Zorn über diese Behandlung half ihm, sich zu beruhigen. Er tat, was Shadamehr von ihm verlangte, und gab sich unwissend. Die Wachen fanden das Knochenmesser nicht, obwohl einer die Hand direkt darauf legte.
Dann kehrte einer mit dem Sekretär der Regentin zurück – einem Tempelmagus –, der erklärte, die Regentin sei durchaus im Stande, mit diesen Personen fertig zu werden, selbst wenn die Palastwache es nicht sei. Wenn die Palastwache sich schon vor zwei Elfen fürchtete, sollte man ihnen vielleicht weitere Männer zur Seite stellen. Der Offizier wechselte grimmige Blicke mit seinen Leuten und murmelte leise etwas vor sich hin.
Hier gab es offenbar einen Konflikt zwischen der Gelehrsamkeit und dem Schwert, stellte Shadamehr interessiert fest.
»Nun gut«, erklärte der Offizier angespannt. »Von jetzt an seid Ihr verantwortlich.«
Der Tempelmagus stolzierte voran. Die Gefangenen folgten, eskortiert von vier Soldaten. Der Offizier hätte vielleicht mehr mitgeschickt, aber er war der Ansicht, dass der Magus die Ehre seiner Männer beleidigt hatte.
Shadamehr war seit fünfzehn Jahren nicht mehr im königlichen Palast gewesen, aber da er hier als Kind gespielt hatte, wenn seine Eltern ihn zu Besuchen mitbrachten, kannte er sich beinahe genauso gut aus, als wäre er gestern zum letzten Mal hier gewesen. Neue Wandteppiche hingen an den Wänden, neue Rüstungen hatten die alten ersetzt, aber eine ausgesprochen hässliche Statue von König Hegemon stand immer noch gewichtig in einer Nische, und eine riesengroße Porzellanvase, in der der junge Shadamehr sich einmal versteckt hatte, befand sich immer noch in der gleichen Ecke wie damals.
Shadamehr fiel eine weitere Veränderung auf. Zunächst wusste er nicht genau, worin sie bestand, aber dann begriff er. In diesen Hallen hatte es gewöhnlich von schmeichlerischen Höflingen und aufgeblasenen Würdenträgern nur so gewimmelt. Sie hatten die königlichen Arterien verstopft und dafür gesorgt, dass das königliche Herz nur träge schlug. Dieser Tage waren die Hallen leer. »Es ist so still wie in einem Tempel«, stellte Shadamehr verwundert fest, und dann begriff er, was er da gesagt hatte. »Nun ja. Das hier ist jetzt wohl ein Tempel.«
In den riesigen Marmorhallen hatte man einmal das laute Lachen der Menschen, das Bellen von Hunden und das Klirren von Münzen hören können, die bei Glücksspielen auf den Boden geworfen wurden. Im Vergleich dazu war es nun sehr still, man hörte nur das leise Rascheln von Wollgewändern, die leisen Schritte weicher Ledersohlen und das Murmeln von Stimmen.
Ein Schaudern erfasste Shadamehr und zog sich vom Anfang seiner Wirbelsäule bis zu seinen Haarwurzeln hoch. Wie einfach wäre es für einen Vrykyl in der Gestalt einer Hohen Magierin, den Palast mit Anbetern der Leere zu füllen!
Er wusste nicht, ob diese Magier das waren, als was sie sich ausgaben. Magier sahen für ihn alle gleich aus, ganz egal, wie oft Alise versucht hatte, ihm die Unterschiede in den Gewändern der Zweige des Ordens zu erklären. Er wünschte sich sehr, dass sie jetzt an seiner Seite wäre, denn sie war – wie widerstrebend auch immer – eine Expertin für Magie der Leere, und sie hätte ihm vielleicht sagen können, ob diese hübsche junge Magierin in der Ecke dort drüben unter ihren Gewändern die entzündeten Abszesse und offenen Wunden verbarg, die einem die Beschäftigung mit Magie der Leere bescherte.
Shadamehr hatte angenommen, man würde sie in den Thronsaal bringen, der sich im Erdgeschoss befand, aber der Magier führte sie mehrere Marmortreppen hinauf bis zum fünften Stock.
Shadamehr kannte diese Räume: die Privatgemächer des Königs und seiner Familie. Er und der verstorbene König waren als Kinder gute Freunde gewesen – eine Freundschaft, die bedauerlicherweise
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