Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
immer wieder Dinge, die die Leute kränken. Sie hat gelacht, als sie hörte, dass Rosendorns Kind tot zur Welt gekommen ist. Sie sagte, sie würde sich freuen, weil dem Kind eine Welt des Leidens und der Qual erspart bliebe, und nicht trauern. Ich dachte schon, Eichhorn würde sie umbringen, als er das hörte. Ich musste ihnen Fleisch schenken, damit sie uns die Beleidigung verziehen. Und als ich versuchte, mit Ranessa darüber zu sprechen, nannte sie mich einen dummen kleinen Jungen und erklärte, es sei gut, dass meine Mutter tot ist, damit sie nicht mit ansehen müsste, was für einen Dummkopf sie zur Welt gebracht hat.«
Jessans Stimme zitterte vor Zorn. Er hatte nur wenig Erinnerungen an seine Mutter, und die waren ihm heilig.
»Ranessa ist wirklich begabt, wenn es darum geht, Menschen zu kränken. Nimm dir nicht so zu Herzen, was sie sagt«, sagte Rabe. »Ich glaube nicht, dass sie es wirklich so meint.«
»Ich schon«, murmelte Jessan.
»Was Eichhorn angeht, er hat mir die Geschichte erzählt, sobald ich wieder einen Fuß ins Dorf gesetzt habe. Ich werde ihm zur Entschuldigung noch eine Waffe schenken. Er sagte, du hättest die Situation wie ein Erwachsener gehandhabt.«
Rabe schaute seinen Neffen an und erkannte, dass der junge Mann trotz dieses besonderen Tags nun unglücklich und niedergeschlagen war. »Schon gut. Wir werden nicht weiter darüber sprechen. Jetzt komm und zeig mir diese wunderbare Rüstung.«
Er legte seinem Neffen den Arm um die Schulter. Sie gingen gemeinsam durch das Dorf zu dem Haus, in dem sie zusammen gewohnt hatten, nachdem Jessans Eltern gestorben waren. Jessan dachte daran, seinem Onkel von dem Messer zu erzählen oder es ihm zu zeigen. Aber irgendwie widerstrebte es ihm. Er wusste, was sein Onkel sagen würde. Das Messer hatte dem toten schwarzen Ritter gehört, daher gehörte es nun dem, der ihn besiegt hatte. Aber der Sieger lag im Sterben, und er brauchte das Messer nicht dringender als die Leiche, die es einmal besessen hatte. Der sterbende Ritter hatte die Rüstung nicht gewollt. Er würde auch das Messer nicht haben wollen.
Ich habe dem Ritter beim Kampf geholfen, dachte Jessan. Ich habe mir das Anrecht auf dieses Messer verdient. Ich habe mir das Recht verdient, es zu tragen. Ich werde es meinem Onkel zeigen, aber jetzt noch nicht. Wir würden uns nur darüber streiten, und ich möchte mir diesen Tag nicht noch mehr verderben.
Jessan berührte das Knochenmesser an seinem Gürtel. Der Knochen fühlte sich irgendwie warm an, als teilte er seine Freude an ihrem Geheimnis.
Gustav erwachte aus seltsamen Träumen und fand sich in einer noch seltsameren Wirklichkeit wieder. In seinem Traum hatte er das schauerliche Gesicht eines mumifizierten Kadavers gesehen. Die Haut war welk und bräunlich wie altes Pergament und fest über die Schädelknochen gespannt, die Lippen zu einem starren Grinsen verzerrt. Die Augen der Leiche waren die Augen eines lebendigen Wesens, und eine erschreckende Intelligenz lauerte in ihren kalten, leeren Tiefen. Und diese Augen suchten nach Gustav.
Oder genauer gesagt suchten sie nach dem, was er bei sich trug.
Die Augen spähten am Horizont entlang, begannen mit dem Rand der Welt. Sie bewegten sich immer ein kleines Stück weiter, erforschten jede Person, der sie begegneten, suchten, tasteten. Sie hatten Gustav noch nicht gefunden, aber sie kamen näher und näher, und wenn ihr Blick ihn traf, würden sie ihn verschlingen.
Er musste sich verstecken! Sie hatten ihn beinahe erreicht…
Er erwachte schaudernd und mit einem Aufschrei und sah, dass ihn tatsächlich Augen anstarrten. Diese Augen waren schwarz, aber nicht leer. Sie waren leuchtend und sanft und flink wie die eines Vogels in einem Gesicht, das nussbraun war und faltig wie eine Nussschale.
»Schön liegen bleiben«, sagte die alte Frau mit ihrem lippenlosen Mund. Gustav fühlte sich an einen Nussknacker erinnert, den er einmal am Hof von Vinnengael gesehen hatte. »Träume können dich berühren, aber sie können dich nicht wirklich packen.«
Gustav starrte verblüfft zu dem Gesicht auf, dann versuchte er sich umzusehen. Er lag nackt zwischen mehreren Schichten von Wolldecken. Heiße Steine, ebenfalls in Decken gewickelt, waren um ihn herum gelegt. Er hatte das Gefühl, sich in einem festen Haus zu befinden, obwohl er weder Mauern oder Decke genau erkennen konnte, weil aus einer Schale ganz in der Nähe duftender Rauch aufstieg. Hin und wieder benutzte die Person mit dem
Weitere Kostenlose Bücher