Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
Frau hier gewohnt, dann hätte es auch Töpfe und Körbe mit getrockneten Bohnen, Beeren und Maismehl gegeben, und dazu handgewebte Decken mit ihrem eigenen, besonderen Muster auf dem Boden und an den nackten Wänden. Wenn sie eine Kriegerin wäre, hätte ihr Schild neben dem des Mannes gestanden. Aber Rabes Schild stand allein da. Es gab kein Essen im Haus. Jessan aß bei Bashae und brachte ihm zur Bezahlung Geschenke von Fisch und Fellen mit. Pecwae aßen zwar kein Fleisch von Säugetieren, aber Fisch – Geschöpfe, die die Pecwae dumm und wenig verständigungsbereit finden.
Rabe hatte einmal eine Frau gehabt, aber sie war im Kindbett gestorben. Ihr kleiner Sohn hatte sie nicht lange überlebt. Kurz darauf war er mit einem Kontingent von Kriegern nach Süden gereist, um seine Dienste an die Armee von Dunkarga zu verkaufen, zusammen mit vielen anderen Trevinici.
Rabe war zweiunddreißig Jahre alt und groß und kräftig gebaut. Sein Haar war einmal so rot wie das von Jessan gewesen, schimmerte inzwischen aber in einem dunklen Rotbraun. Er hatte in seinen Kämpfen Narben davongetragen und zeigte sie stolz, zusammen mit einer Sammlung von Trophäen, darunter auch seiner liebsten, einem Halsschmuck aus Fingerknöcheln. Seine Augen unter den dichten dunklen Brauen blitzten grau – und diese Brauen waren das Einzige, was an seine Schwester erinnerte. Ein Feind, der versuchte, Rabe an den Augen abzulesen, was er vorhatte, musste unweigerlich versagen.
Rabenschwinge hatte Jessan adoptiert, als die Kriegereltern des jungen Mannes beide in einer Schlacht in Karnu umgekommen waren. Der junge Mann, damals sechzehn, war in dieses Haus gezogen und hatte dort allein gewohnt, solange Rabe weg war. Jessan war alt genug, bald selbst das Leben eines Kriegers zu beginnen. Einer der Gründe, weshalb Rabe Dunkar verlassen hatte, um in sein Dorf zurückzukehren, bestand darin, dass er Jessan mit in die Stadt nehmen wollte. Es war an der Zeit, dass der junge Mann seinen Kriegernamen fand.
Jessan legte das Bündel auf den Boden. Rot angelaufen vor Aufregung, etwas schenken zu dürfen, öffnete er es.
Die Enden der Pferdedecke fielen auseinander. Die schwarze Rüstung schimmerte matt im Sonnenlicht, das ein helles Muster auf dem Boden bildete.
Jessan sah seinen Onkel in diesem Augenblick nicht an. Er betrachtete die Rüstung voller Stolz, und daher entging ihm zum Glück Rabes erschrockener, angewiderter Blick. Die schwarze Rüstung, wie sie dort auf dem Boden lag, sah aus wie der ausgetrocknete Panzer eines riesigen Insekts, dem man den Kopf abgerissen und das man in Stücke gehackt hatte.
Jessan erwartete von seinem Onkel Freudenbezeugungen. Als er nichts weiter hörte als sein Atmen, blickte er rasch auf, um zu sehen, was los war.
»Gefällt sie dir nicht, Onkel?«
Inzwischen war es Rabe gelungen, so etwas wie ein Lächeln aufzusetzen.
»Es ist eine schöne Rüstung«, sagte er. »Die beste, die ich je gesehen habe.«
Das entsprach der Wahrheit. Es war eine sehr gute Rüstung. Aber es war auch das schrecklichste, unerträglich aussehendste Ding, das Rabenschwinge je erblickt hatte. Seine Bewunderung für den Ritter, der gegen diese Erscheinung gekämpft hatte, wuchs ins Unermessliche. Rabe konnte nicht mit Gewissheit sagen, ob er nicht selbst die Flucht ergriffen hätte, wenn diese Monstrosität auf ihn zugeritten wäre. Und er war ein Krieger, der nicht einmal mehr all seine Trophäen aus den Kämpfen gleichzeitig tragen konnte, weil er sich sonst unter dem Gewicht nicht mehr hätte bewegen können.
Nun lächelte Jessan wieder. »Ich dachte mir, dass sie dir gefallen würde, Onkel. Der Ritter wollte sie in den See werfen. Kannst du dir das vorstellen? Wie kann man nur eine so gute Rüstung verschwenden?«
Rabe bemerkte, dass er unwillkürlich einen Schritt zurückgewichen war. Er konnte seine Reaktion nicht verstehen und ärgerte sich über sich selbst. Es hatte nichts damit zu tun, dass es die Rüstung eines Toten war. Rabe hatte jedem seiner toten Gegner die Finger abgehackt und ihnen alle wertvollen Gegenstände abgenommen. Wozu brauchten die Toten schon Schwerter oder Harnische? Das hier war eine schöne Rüstung. Sein Freund, der Armeeschmied, konnte das Loch reparieren, welches das Schwert des Ritters hinterlassen hatte. Diese seltsamen Stacheln, die von den Schultern und Ellbogen ausgingen, würden jede Klinge und selbst einen Speer ablenken.
»Möchtest du sie anprobieren? Ich werde dir damit helfen«, bot Jessan
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