Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
sagte Jessan. »Aber wir haben nicht viel Zeit.
Wir
reisen in zwei Tagen nach Dunkar ab«, fügte er mit stolzer Betonung des »Wir« hinzu.
»Das weiß ich. Dennoch, es wäre gut, wenn Rabe mit ihm sprechen könnte.«
Die beiden wünschten sich gähnend eine gute Nacht und gingen in verschiedene Richtungen davon. Jessan kehrte zum Haus seines Onkels zurück, wo Rabenschwinge bereits schlief, und legte sich ebenfalls hin.
Jessan hatte in dieser Nacht einen seltsamen Traum, in dem zwei Augen nach ihm suchten, den Horizont absuchten in der Hoffnung, dass er sich dort abzeichnete. Er schreckte aus dem Schlaf, aber er wusste nicht, was das bewirkt hatte.
Am nächsten Morgen konnte er sich nicht an den Traum erinnern. Er erinnerte sich auch nicht mehr daran, dass er seinem Onkel von dem Messer erzählen wollte.
Es war, als hätte er es schon sein Leben lang in seinem Besitz gehabt.
Gustav erwachte von einem Schmerz, der an seinen Eingeweiden riss wie die Klauen eines schwarzen Geiers. Er unterdrückte ein Stöhnen, aber die alte Frau hatte selbst dieses leise Geräusch gehört. Sie versuchte nicht mehr, mit ihren Steinen und ihrem Rauch, den sie mit einer Feder in seine Richtung wedelte, etwas zu erreichen. Sie saß im Schneidersitz an seiner Seite am Boden, die faltigen Hände in ihrem perlengeschmückten Schoß, und sah ihn ernst an.
»Es tut dir weh, nicht wahr?«, sagte sie, und das war eher eine Feststellung als eine Frage.
Er konnte sie nicht belügen. Er nickte beinahe unmerklich. Jede Bewegung schien den Schmerz der Klauen schlimmer zu machen. Er konnte sich beinahe vorstellen, die heiße Luft zu spüren, die die schwarzen Flügel auf ihn zuwehten.
»Ich kann nichts für dich tun«, sagte sie tonlos. »Der Schmerz wird von böser Magie bewirkt, die in deinem Körper schwelt.« Sie beugte sich vor und sah ihn mit ihren durchdringenden Vogelaugen an. »Lass dein Leben los. Deine Seele ist dem Bösen entkommen, das nach ihr sucht. Wenn du deinen Körper verlässt, wird deine Seele frei sein.«
Sie befeuchtete seine Lippen mit Wasser. Gustav konnte nicht mehr schlucken. Er war bereit zu sterben. Adela wartete auf ihn und sehnte sich danach, dass er endlich zu ihr kam. Und dennoch konnte,
durfte
er die Welt noch nicht verlassen. Noch nicht. Er schüttelte den Kopf.
»Du trägst eine große Last«, sagte die Großmutter. »Du willst diesen Körper nicht verlassen, denn du glaubst, dass niemand mehr die Last auf sich nehmen wird, sobald du sie niedergelegt hast. Du denkst, wenn du stirbst, wird deine Hoffnung sterben. Das ist nicht so. Du hast deinen Anteil geleistet. Die Last wird weitergereicht. Andere werden dort weitermachen, wo du aufgehört hast. Das ist der Plan und der Wunsch der Götter.«
Gustav starrte sie staunend und beunruhigt an. Hatte er in seinen schmerzerfüllten Träumen von seiner Suche erzählt?
Die Großmutter lachte leise – ein kehliges, kräftiges Lachen, nicht das Gackern, das er vielleicht erwartet hätte.
»Mach dir keine Sorgen. Deine Disziplin ist stark. Deine Lippen waren versiegelt. Aber es war nicht schwer zu erkennen. Und der Zwerg hat mir davon erzählt.«
Wolfram. Ja, er würde von der lebenslangen Suche des Ritters Gustav Hurensohn wissen. Gustav erinnerte sich daran, dass er gestern darüber nachgedacht hatte, dem Zwerg den Stein der Könige zu übergeben. Sicher keine perfekte Wahl. Gustav wusste wenig über Wolfram, nur dass er für die Mönche auf dem Drachenberg arbeitete. Wolfram war ein Pferdeloser, verbannt von seinem Stamm, beinahe mit Sicherheit für irgendein Verbrechen. Nun verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Informationssammler und Hausierer. Man würde sich darauf verlassen können, dass Wolfram den Stein zu den Mönchen brachte, besonders wenn man ihn entsprechend bezahlte. Dennoch widerstrebte es Gustav, dem Zwerg den Stein der Könige zu überlassen. Diese Entscheidung fühlte sich irgendwie nicht richtig an.
Die Großmutter sah ihn an. »Du weigerst dich zu sterben, bevor du weißt, wer diese Last übernehmen wird. Wenn das zufriedenstellend geregelt ist, wirst du dann gehen?«
»Hast du es so eilig, mich loszuwerden, Großmutter?«, fragte Gustav mit einem dünnen Lächeln. Er sprach sie so an, wie er es von allen anderen gehört hatte.
»Ja«, sagte sie schlicht. »Ich bin Heilerin. Dein Schmerz ist mein Schmerz. Du versuchst zu entscheiden, wer deine Last weitertragen wird. Du solltest nicht derjenige sein, der eine solch wichtige
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