Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
ihm, ihr kommt in meinem Auftrag, und dass ich im Namen unserer langjährigen Freundschaft darum bitte, dass er euch zum Haus von Lady Damra führt.«
»Ja, Herr«, sagte Jessan. »Das Binnenmeer von Redesh, die Stadt Mynamin, die Straße der Drachenbauer, ein Mann namens Arim. Und wenn ich ihn nicht auftreiben kann, werden wir eure Freundin selbst finden, und wenn wir die ganze Elfennation auf den Kopf stellen müssen.«
Gustav schluckte und schloss die Augen. Er hatte keine Kraft mehr, den Kopf zu bewegen. Als er sprach, musste sich Jessan über ihn beugen, um ihn überhaupt noch hören zu können.
»Ihr seid… ein Mensch. Die Tromek werden nicht erlauben, dass Ihr ihr Land betretet… ohne einen Begleiter. Die Nimoreaner… werden akzeptiert…« Seine Stimme verklang. Er starrte Jessan eindringlich an, und der junge Mann schien einen Augenblick nachzudenken, bevor er abrupt nickte.
»Ich verstehe, Herr. Man würde uns nicht ins Elfenland lassen, aber dieser Nimoreaner Arim kann für uns sprechen und uns führen.«
Gustav war mit der Antwort zufrieden, und noch mehr mit dem Gedanken, der dahinter stand. Er hatte seine Aufgabe vollendet. Die Last lag nicht mehr auf seinen Schultern. Er hatte sie weitergereicht. Er hatte alles getan, um dafür zu sorgen, dass der Stein der Könige sicher an sein Ziel gelangte. Nun konnte er aufhören, sich ans Leben zu klammern, und die Hände nach Adela ausstrecken.
Er schloss die Augen. Er stand auf einem Sandstrand, der silbern in der hellen Sonne strahlte. Das weite, lebendige, bewegte, atmende Meer breitete sich vor ihm aus. Die Sonne vergoldete jede einzelne Welle. Die Wellen leckten an seinen Füßen, und jede kam ein wenig näher. Die Möwen flogen über ihn hinweg, bewegten sich mit kräftigen Flügelschlägen. Kleine, braune Vögel hüpften über den Sand und sprangen jedes Mal von den Wellen weg, wenn diese zu nah kamen.
Eine Welle überflutete Gustavs Füße. Als das Wasser sich zurückzog, saugte es den Sand unter ihm weg. Jede Welle nahm ein wenig mehr, ein wenig mehr.
Er wartete dort am Strand, wartete darauf, dass Adela zu ihm kam und ihn über die Wellen hinweg zu stillem Wasser führte.
Die Dorfältesten betraten das Heilerhaus und stellten sich am Bett des sterbenden Ritters auf. Sie trugen ihre beste Kleidung und hatten alle ihre Trophäen angelegt. Sie sprachen abwechselnd, beginnend mit dem Ältesten, und jeder erzählte die Geschichte eines tapferen Kriegers, der längst gestorben war, erweckten seinen oder ihren Geist, damit sie sich ebenfalls ins Heilerhaus begaben. Sie erzählten die Geschichte von Einsamer Wolf, der auf dem Schlachtfeld geblieben war, um über einen verwundeten Kameraden zu wachen und der immer weiter kämpfte und schließlich von einer überwältigenden Übermacht besiegt worden war, weil er seinen Kameraden nicht allein sterben lassen wollte. Sie erzählten die Geschichte von Silberbogen, der Pfeil um Pfeil auf die Augen eines wild gewordenen Riesen abfeuerte und sich ihm mutig in den Weg stellte, nachdem alle anderen bereits geflohen waren. Diese und viele andere Geschichten erzählten sie, bis das Heilerhaus gefüllt war mit toten Helden.
Die Ältesten waren mitten in der Geschichte von Biersäufer angelangt, als Ranessa das Heilerhaus betrat. Sie war in ihre Decke gewickelt, die sie fest um sich gezogen hatte. Ihre Beine waren nackt. Es war durchaus möglich, dass sie nichts darunter trug.
Der Älteste, der gerade gesprochen hatte, schwieg. Er starrte erzürnt Ranessa an. Sie hatte kein Recht dazu, hier zu sein. Sie hatte einfach nicht das Recht! Sie beleidigte die Ältesten und den sterbenden Ritter. Einer der Ältesten stand auf und legte ihr die Hand auf den Arm.
Sie riss sich von ihm los. »Fass mich nicht an«, sagte sie kalt. »Ich werde nicht bleiben. Ich wollte ihn nur sehen, das ist alles.«
»Lasst sie bleiben«, sagte die Großmutter plötzlich.
Ranessa trat vor, bis sie direkt neben dem sterbenden Ritter stand. Etwa zehn Herzschläge lang starrte sie Gustav intensiv an. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um, und so abrupt, wie sie gekommen war, verschwand sie wieder.
Die Ältesten wechselten Blicke, schüttelten die Köpfe, zogen die Brauen hoch und begannen wieder an der Stelle mit der Geschichte von Biersäufer, wo sie aufgehört hatten.
Dem Ritter schien die Unterbrechung nicht aufgefallen zu sein. Man merkte ihm auch nicht an, ob er die Geschichten gehört hatte oder nicht. Es sah ganz so aus, als
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