Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
aus, dann stieg er aufs Pferd. Wolfram trat einen Schritt zurück, und Rabe wollte gerade losreiten, als Ranessa sich plötzlich an den Ältesten vorbeidrängte.
»Was soll denn das, Rabe?«, fragte sie barsch. »Kein Abschiedskuss für deine Schwester?«
Rabe warf ihr einen finsteren Blick zu. Er hatte mit den Ältesten über sie gesprochen. Er hatte gehofft, schon weit weg zu sein, bevor ihr auffiel, dass er nicht mehr da war.
Sie sah ihn durch ihr schwarzes, zerzaustes Haar an, das ihr wie immer in die Stirn fiel. Langsam stieg Rabe wieder vom Pferd und ging zu seiner Schwester. Er näherte sich ihr nur so weit, wie es nötig war, um mit den Lippen ihre schmutzige Wange zu streifen, aber Ranessa packte ihn an den Armen, grub ihre Nägel ins Leder seines Wamses und zog ihn an sich.
»Du nimmst den Fluch vom Dorf«, sagte sie heiser und eindringlich. »Das ist gut so, Bruder. Mach dir keine Sorgen. Du wirst die Leute retten, obwohl du selbst verloren bist. Verloren«, wiederholte sie.
Rabe wusste, dass Ranessa verrückt war und offensichtlich mit jedem Tag verrückter wurde. Aber bei ihren Unheil verkündenden Worten wurde ihm kalt. Er versuchte sich loszureißen, aber sie sackte gegen ihn und lehnte die Stirn an seine breite Brust. Erstaunt bemerkt er Tränenspuren auf ihrem dreckverschmierten Gesicht.
»Du bist gut zu mir gewesen«, murmelte sie gegen seine Brust. »Besser, als ich es verdient habe. Ich habe dich nur gequält.« Sie hob das tränenfeuchte Gesicht. Ihre Augen waren dunkel und glänzend, ihr Blick wild. »Wenn dich das trösten sollte: Ich bin eine noch größere Last für mich selbst als für alle anderen.«
Sie gab ihm einen Kuss, der beinahe ein Schlag war, so rasch und fest erfolgte er. Dann drehte sie sich rasch um und verließ den Kreis. Wer ihr im Weg stand, musste schnell ausweichen, oder sie hätte ihn mit ihren bloßen Füßen niedergetrampelt.
Rabe stand immer noch wie angewurzelt da und schaute ihr nach, erstaunt und voller Unbehagen, und rieb sich das schmerzende Kinn. Am nächsten Tag würde er feststellen, dass ihr Kuss tatsächlich einen blauen Fleck verursacht hatte.
Alle schauten nun unbehaglich drein und hatten offensichtlich das Gefühl, dass Ranessa einen ansonsten triumphalen Abschied verdorben hatte. Rabe nahm an, er sollte lieber gleich davonreiten, bevor es ihr einfiel, noch einmal zurückzukehren. Er stieg wieder aufs Pferd, winkte noch einmal und ritt dann nach Süden, in die Richtung, die ihn nach Dunkar führen würde. Die Dorfbewohner riefen ihm gute Wünsche hinterher, bis sie ihn nicht mehr sehen konnten. Dann machten sie sich an die unangenehme Arbeit, eine neuen Höhle zu suchen, in der sie die Lebensmittel für den Notfall sowie den spärlichen Reichtum des Dorfs verstecken konnten.
Die Ältesten gingen ins Heilerhaus, um sich von einem anderen Mann zu verabschieden, der sich auf eine erheblich längere Reise aufmachte, die ihn in ein unbekanntes Reich führen sollte. Ganz anders als Rabes Reise – das dachten sie zumindest.
Gustav wurde jeden Augenblick schwächer. Jeder Atemzug war ein harter Kampf gegen einen Feind, dem er schon viele Male gegenübergestanden hatte. Er bedauerte nichts. Der Tod war ein Feind, gegen den er ehrenvoll verlieren konnte. Gustav sehnte sich danach, sein Schwert zu zerbrechen, auf ein Knie niederzusinken und sich als geschlagen, wenn auch nicht als besiegt zu erklären. Aber er musste noch seine Angelegenheiten in dieser Welt abschließen. Er musste weitergeben, wonach er sein Leben lang gesucht und für dessen Verteidigung er sein Leben gegeben hatte. Er würde es zwei jungen Männern geben. Und der Großmutter.
»Das Ende meines Lebens ist nah, und ich bin nie weiter von meinem Zelt entfernt gewesen als bis zum Fluss«, hatte sie gesagt, nachdem sie ihm ihre verblüffende Entscheidung mitgeteilt hatte. »Ich habe noch nie einen Elf gesehen. Ich hätte auch nie einen Zwerg gesehen, wenn mein Neffe nicht einen gefangen hätte. Aber ich nehme an, es ist schwieriger, Elfen zu fangen.«
»Aber Eure Bequemlichkeit«, wandte Gustav sanft ein. Er konnte sich allerdings kaum ernsthaft dagegen aussprechen, auch noch in späten Jahren auf Abenteuer auszuziehen. »Die Reise wird lang und schwer werden.«
»Bequemlichkeit, pah!« Die Großmutter schnaubte. »Nachts kann ich nicht mehr schlafen, weil mir die Knochen so wehtun. Also kann ich genauso gut am Straßenrand wach liegen wie in meinem stickigen Zelt. Und das Essen schmeckt
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