Der Stein der Könige 3 - Die Pforten der Dunkelheit
davonkommen würde.
Er war vor Sorge und Ungeduld fast umgekommen. Er hatte sich gerade nach einem weiteren enttäuschenden Tag des Beobachtens zum Schlafen hingelegt, als er plötzlich aufschreckte, überzeugt davon, dass jemand mit ihm gesprochen hatte.
»Geh zum Taanlager!«
Wolfram warf einen Blick auf Ranessa. Er hatte darauf bestanden, dass sie die Menschengestalt beibehielt, sodass sie weder die Taan noch die Bewohner von Mardurar beunruhigte. Sie hatte sich in ein Bärenfell gewickelt und schlief fest.
»Ich habe es wahrscheinlich nur geträumt«, sagte er sich.
Er versuchte, wieder einzuschlafen, aber er konnte die Worte immer noch deutlich hören. Er stand auf und ging zu Ranessa, um sie zu wecken.
»Du bist verrückt!«, sagte sie, aber sie ging mit ihm zum Lager.
Sie hielten sich im Schatten der Bäume.
»Sie haben Gefangene«, sagte Wolfram. Er hatte das Gefühl, dass ihm der Trevinici bekannt vorkam. Er blinzelte, starrte ins Feuerlicht und keuchte auf.
Ranessa versetzte ihm einen Schlag gegen den Arm. »Still! Sie werden dich hören!«
»Sieh doch!«, sagte er zu Ranessa, packte ihren Arm und schüttelte ihn, weil er so aufgeregt war. »Der Trevinici dort. Wisch dir das Haar aus den Augen und sag mir, dass ich mir das nicht einbilde.«
»Ich glaube, ich kenne ihn«, sagte sie, aber sie klang, als hege sie Zweifel.
»Das ist Jessan!«, zischte Wolfram empört. »Dein Neffe!«
»Mein Neffe.« Sie hielt für einen Augenblick inne, dann sagte sie leise: »Ich hatte ihn ganz vergessen. Sie scheinen alle so weit entfernt zu sein. Was macht er wohl hier?«
»Das ist im Augenblick gleichgültig. Aber jetzt haben wir eine Chance«, meinte Wolfram und rieb sich die Hände. »Ich werde ins Lager schleichen und ihre Fesseln durchschneiden …«
»Schließt dein Plan auch Vrykyl ein?«, fragte Ranessa. »Denn einer ist gerade ins Lager gekommen. Nein, warte. Jetzt sind zwei von ihnen da. Einer ist als Taan verkleidet, aber ich durchschaue ihn.«
Wolfram tat das ebenfalls, nachdem sie ihn darauf aufmerksam gemacht hatte. Er war so voller Hoffnung gewesen, und jetzt hätte er sich mit dem Gesicht voran in eine Schneewehe werfen und weinen mögen.
»Wir können es schaffen«, sagte Ranessa. Sie wandte sich ihm zu und lächelte. »Du schaffst es. Du bist ein Paladin. Und ich bin ein Drache.«
Bevor er noch widersprechen konnte, war sie auch schon verschwunden und hinaus in die Dunkelheit gerannt. Wolfram packte sein Messer und schlich ins Lager. Er befreite den Vinnengaelier und Jessan, dann schlüpfte er rasch zurück in den Schatten, um auf eine Gelegenheit zu warten, das Mädchen zu retten.
Er hörte Ranessa im Dunkeln kreisen. Inzwischen kannte er ihre Geräusche, das Flattern der Flügel in der kalten, stillen Luft. Er hörte, wie sie Luft holte und den Atem dann rasch wieder ausstieß.
Die Baumwipfel gingen in Flammen auf. Wolfram packte sein Medaillon, sprach ein Gebet, und die Silberrüstung eines Paladins umgab seinen Körper. Er eilte ins Taanlager und packte die Großmutter und Fenella.
Er achtete nicht auf das Geschrei der Großmutter über einen Stock, klemmte sich die alte Frau unter einen Arm und Fenella unter den anderen und rannte in den Wald.
Wolfram hörte den Drachen brüllen und das Knistern brennender Bäume, die Schreie eines sterbenden Taan und Jessans Kriegsgeheul. Er achtete nicht weiter darauf, sondern rannte weiter. Der Mond, der hell auf den Schnee strahlte, beleuchtete ihren Weg. Wolfram war nicht daran gewöhnt, schwere Lasten zu tragen und zu laufen. Er wurde rasch müde, und sein Griff um die alte Frau und das Zwergenkind wurde schwächer. Er war gerade zu dem Schluss gekommen, dass sie weit genug vom Lager entfernt waren, als er plötzlich blind wurde, so blind, als hätte man ihm die Augen ausgestochen. Und er war nicht nur blind, er war auch taubstumm und konnte Arme und Beine nicht mehr bewegen. Er konnte nichts sehen, weil er keine Augen hatte. Er konnte nicht laufen, weil er keine Füße hatte. Er hatte keine Hände mehr, mit denen er kämpfen oder sich an irgendetwas klammern konnte, nicht einmal an sein Leben. Er versuchte angestrengt, es dennoch zu tun, aber seine Finger glitten ab, und er spürte, dass er in eine gewaltige Leere fiel.
Eine Hand packte ihn und hielt ihn fest. Eine Hand in einem silbernen Handschuh. Die Hand zog ihn wieder hinaus aus der Leere. Strahlend in ihrer glitzernden Rüstung beugte sich Gilda über ihn. Sie hob ihren Schild, und
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