Der Stein der Könige 3 - Die Pforten der Dunkelheit
Zorn oder Angst – er war nicht sicher, was er eigentlich erwartete. Aber was er tatsächlich sah, verblüffte ihn so sehr, dass er beinahe seine Frage vergaß.
»Ich weiß nicht, was Ihr meint«, sagte Silwyth, und seine Stimme klang ruhig. Aber er hatte einen Augenblick zu lange gezögert.
»Ich bin… äh… sicher, dass Ihr Euch daran erinnert«, sagte Shadamehr, der sich mit einiger Anstrengung zusammenriss. »Worüber wir in der Höhle gesprochen haben. Dass Lord Dagnarus…«
»Er ist nun Euer König«, verbesserte ihn Silwyth.
»Ich bitte ihn um Verzeihung«, sagte Shadamehr. »Dass Seine Majestät König Dagnarus eine Falle für uns aufgestellt hat. Wolfram hat es uns gesagt. Er hat es von meinem Freund Ulaf gehört. Ihr erinnert Euch doch sicher daran.«
»Ihr müsst einem alten Mann verzeihen«, sagte Silwyth, »der in den letzten Jahren vergesslich geworden ist.« Er zeigte auf die Sonne, die sich nun nach Westen wandte. »Wir sollten uns beeilen. Wir können noch ein paar Meilen hinter uns bringen, ehe es dunkel wird. Wir sollten die Stadt am Morgen betreten, und wir werden den ganzen Tag brauchen, um unser Ziel zu erreichen. Wir wollen doch hier nicht nach Einbruch der Dunkelheit festsitzen.«
»Wo wir gerade von Festsitzen reden«, sagte Shadamehr vergnügt, »ich frage mich gerade, ob Dagnarus seine Falle für uns am Portal gestellt hat oder woanders.«
»Die anderen finden das vielleicht amüsant, Baron«, erwiderte Silwyth, »aber ich fürchte, ich kann nichts Komisches daran finden. Man hat jedem von euch gesagt, ihr solltet den Stein der Könige zum Portal der Götter bringen. Ich werde euch dorthin führen oder nicht, ganz wie ihr wollt.« Er zuckte mit den Schultern. »Wenn Ihr glaubt, Baron, dass es eine Falle ist, dann kommt einfach nicht mit.«
Er verbeugte sich und ging weiter die Straße entlang. Der Zwerg stapfte hinter ihm her, und der Kapitän folgte Wolfram. Damra wollte sich ihnen gerade anschließen, als Shadamehr sie am Arm zurückhielt. »Seht ihm in die Augen«, sagte Shadamehr leise.
Damra starrte ihn an. »Was …?«
»Ich habe schon einmal in solche Augen geschaut. Im Palast in Vinnengael. Als ich den jungen König hochgehoben habe.«
»Ihr wollt sagen, dass Silwyth …«
»Er ist nicht Silwyth«, erklärte Shadamehr finster. »Nicht mehr. Er ist ein Vrykyl.«
Die Stadt Alt-Vinnengael war im Jahr eins von Verdic Ildurel gegründet und am Ufer des Sees errichtet worden, welcher eines Tages den Namen des Gründers tragen würde. Sie hatte ursprünglich als Festung gedient, aber sie war schnell gewachsen, und so war man dazu gezwungen gewesen, auch auf die Klippen zu bauen. Im Lauf der folgenden Jahre bauten Magier, die sich mit der Manipulation von Steinen und Felsen auskannten, Rampen und Treppen, welche von einer Ebene zur anderen führten und Wagen und Fußgängern Zugang gewährten. Brücken überspannten die Schluchten. Orks bauten wunderbare Krane, die Waren hoben und senkten, welche zu schwer waren, um von Wagen bewegt werden zu können. Wohlstand strömte auf dem Wasser- und dem Landweg in die Stadt, und Erdmagier errichteten weitere glatte, gerade Straßen, die von der Armee von Vinnengael bewacht wurden.
Die Stadt war bereits der Mittelpunkt von Loerem, als sie unter der Regierung von König Tamaros durch die magischen Portale auch zum Mittelpunkt des Universums wurde. Errichtet von Magiern aller Elemente, führten diese Portale in die Heimat der anderen Völker und brachten Elfen, Orks und Zwerge nach Vinnengael. Reisen, die einst Monate oder gar Jahre gedauert hatten, wurden auf Tage und Wochen verkürzt. Nun trieben alle Völker mit Vinnengael Handel. Die Elfen, Orks und Zwerge mochten vielleicht nicht viel für Menschen übrig haben, aber sie hatten nichts gegen die glitzernden Silbermünzen, die man zu Ehren von Vinnengaels König Tamaros Tams nannte.
König Tamaros stellte sich eine Welt vor, in welcher alle Völker in Frieden leben konnten, und daher ermutigte er alle, nach Alt-Vinnengael zu kommen, und tat alles, was in seiner Macht stand, damit sie sich dort willkommen fühlten. Dies war die Blütezeit der Stadt.
Der wunderbare Palast des Königs, der vor den Sieben Wasserfällen stand, wurde als eines der Weltwunder betrachtet, und viele stiegen die steilen, von Klippe zu Klippe führenden Treppen hinauf, um ihn anzustarren und jene zu beneiden, die das Glück hatten, in einer solchen Umgebung zu leben. Der Neid hätte sich jedoch schnell in
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