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Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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Ufer war steiler und felsiger als am Fluss, aber das Land war immer noch flach, und die wenigen Erhebungen, die sie erspähten, wären in Eisland kaum als Berge bezeichnet worden. Das Laub an den Bäumen leuchtete grün, und auf den Wiesenhängen waren immer noch die Farbtupfer von Wildblumen zu sehen, ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Sommer in diesem Land länger dauerten. Das hatte auch Leif Eriksson über Vinland berichtet. Es gab hier sogar einen Herbst wie in der alten Heimat, in dem das Laub an den Bäumen in allen Farben leuchtete und erst von den starken Winden im Spätherbst von den Zweigen gefegt wurde.
    Der See, über den sie fuhren, erstreckte sich über den Horizont hinaus. Zu keinem Zeitpunkt ihrer Fahrt konnten sie das andere Ufer sehen. Das Wasser war dunkel und warf stärkere Wellen, gebärdete sich so widerspenstig, als hätte Njörd, der Schutzgott aller Seefahrer, auch hier das Sagen. Hatte er sich mit Skadi, seiner ehemaligen Gattin, wieder vertragen und sich mit ihr auf ein salzloses Meer zurückgezogen? Die Skalden berichteten, dass Skadi sich vor dem Meer fürchtete und ihn deshalb verlassen hatte. Fühlte sie sich auf einem solchen See wohler? Beschützte sie die Fremden, die an den Ufern lebten?
    Ein heftiges Grollen, das aus westlicher Richtung zu kommen schien, zeigte ihnen, dass zumindest Thor auch über dieses Land herrschte. Irgendetwas schien sein Gemüt in Wallung gebracht und ihn auf den Kutschbock seines Streitwagens getrieben zu haben. An diesem Morgen war er so wütend, dass Hakon und Edwin kaum Zeit blieb, ihr kleines Boot in Sicherheit zu bringen. Es donnerte und blitzte, und der Regen peitschte ihnen bereits mit voller Wucht entgegen, als sie in eine schmale Bucht ruderten und das Boot ins Ufergras zogen. Sie schleppten es weit genug an Land, damit es die gierigen Wellen nicht auf den See zurückziehen konnten, und flüchteten geduckt unter die nahen Bäume.
    Hinter dem Stamm eines entwurzelten Baumes sanken sie erschöpft auf den weichen Waldboden. Sie hatten noch die Reste einer gebratenen Wildente, die Edwin am Abend zuvor mit einem Stein erlegt hatte, in ihrem Vorratsbeutel und litten keinen Hunger. Während Hakon sich nach möglichen Feinden umsah, holte Edwin noch etwas Wasser aus dem See.
    Sie tranken aus dem Horn, das sie mitgenommen hatten, und starrten besorgt über den Baumstamm hinweg. Thor schien außer sich vor Wut zu sein und führte sich so wild und ungestüm auf, wie man es selbst auf einem salzigen Meer nur selten erlebte. Die Räder seines Streitwagens ratterten so dicht über sie hinweg, als wollte er sie rammen, und sein Hammer wirbelte kreuz und quer durch die dunklen Wolkenberge und ließ den Himmel erdröhnen.
    Durch die Bäume beobachteten sie, wie mächtige Wellen in die Bucht rollten und sich tosend an den felsigen Ufern brachen. Weiße Schaumfetzen wirbelten durch die Luft. Der Wind pfiff und heulte und tobte sich in den schwankenden Kronen der Bäume aus. Grelle Blitze zerfetzten den dunklen Himmel und schlugen im stürmischen See ein. Thors Hammer schien die Wolken auseinanderreißen zu wollen, ließ alle paar Atemzüge den Himmel erzittern.
    »Wenn wir auf dem See geblieben wären, hätte es uns zerrissen«, sagte Edwin. Er zuckte unter jedem Donnerschlag wie unter einem Peitschenhieb zusammen. »So ein schlimmes Unwetter habe ich in Irland nie erlebt.«
    Hakon war ebenso beeindruckt. »Die Götter sind auf unserer Seite, mein Freund.« Unbewusst berührte er das Kreuz an seiner Brust. »Vielleicht ist Thor nur gekommen, um Ivar und seine Männer auf den Grund des Wassers zu schicken. Wenn sie dort draußen sind, haben sie keine Chance.«
    »Oder sie haben den linken Flussarm genommen und sind irgendwo im Inland. Wer weiß schon, was die Götter mit diesem Verbrecher vorhaben?«
    »Sie wollen, dass ich ihn besiege.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Ich weiß es eben. Nur er steht zwischen der Frau und mir.«
    Nach langer Zeit, die ihnen wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen war, zog Thor sich zurück. Ein letztes Mal trieb er seinen Wagen durch die Wolken, um sein Gemüt zu kühlen, dann verstummte das Rattern des Streitwagens, und er zog weiter, um an einem anderen Ort der Erde für Unruhe zu sorgen. Die dunklen Wolken zogen nach Osten ab und ließen dichte Dunstschwaden zurück, die langsam über das Wasser trieben und sich zwischen den Bäumen verfingen. Das Rauschen des Regens ließ langsam nach.
    Sie packten ihre Vorräte zusammen

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