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Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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auch ihn töten, um die Götter zu versöhnen? Thorgeir war immer für den alten Glauben eingetreten und hatte bei seiner Entscheidung nur die Vernunft und nicht sein Herz sprechen lassen. Auch deshalb hatte er die Leute gemahnt, die alten Götter nicht zu vergessen. Wollte Thorgeir ihn opfern, ohne dass es wie ein Opfer aussah?
    Am frühen Abend, der sich mit kühlem Wind ankündigte, holte Gunnar ihn ab. Neben einem Lagerfeuer war ein Ringkampf im Gange, und kaum einer der johlenden Zuschauer beachtete sie, als sie im Schatten des Rechtsfelsens in die Nachbarschlucht gingen. Thorgeir und die anderen Würdenträger saßen auf ihren Bänken und warteten geduldig. Hakon versuchte vergeblich, das Urteil an ihren Gesichtern abzulesen, doch diese waren trotz des hellen Sommerabends nur undeutlich zu erkennen.
    Vor den Würdenträgern blieb Hakon stehen. Er bemühte sich, nicht zu seinem Onkel zu sehen aus Angst, er könnte erneut die Beherrschung verlieren und durch eine unbedachte Tat seine Strafe verschärfen. Im Stillen beschwor er Odin, Thor und alle Götter, die ihm wohlgesinnt waren, ihm ein Urteil zu gewähren, das ihn zu der Frau seiner Träume bringen würde.
    Thorgeir stand langsam auf und hob beide Arme. Der frische Abendwind spielte mit seinen langen weißen Haaren. Er begann mit den Floskeln, die jeder Urteilsverkündung vorangingen, und beschwor die Klugheit seiner Beisitzer, die nach bestem Wissen über die Vergehen des Angeklagten geurteilt hatten.
    Dann sagte er: »Hakon, du bist angeklagt, die Beute aus einem Kriegszug für dich behalten und nicht an den Jarl deiner Sippe weitergegeben zu haben. Du wolltest dich damit persönlich bereichern. Unser Urteil zu diesem Vergehen lautet: Schuldig! Weiterhin beschuldigt man dich, den Sklaven Edwin geraubt zu haben. Unser Urteil zu diesem Vergehen lautet: Ebenfalls schuldig! Und du stehst vor dieser Versammlung, weil du angeklagt bist, zwei Männer deiner Sippe auf hinterhältige Weise umgebracht zu haben. Wir sehen es jedoch als wahrscheinlich an, dass du sie in einem gerechten Kampf getötet hast.«
    Hakon atmete befreit die kühle Abendluft ein. Es fiel ihm schwer, seine Erleichterung zu verbergen. Man würde ihn nicht zum Tode verurteilen.
    Thorgeir ließ keine Gnade walten. »Doch du hast deiner Sippe großen Schaden zugefügt. Du hast dich deinem Jarl widersetzt und ihm einen Arm abgeschlagen. Ein Verbrechen, das bis zum gestrigen Tage nur mit deinem Blut gesühnt werden konnte. Aber der neue Glaube, den wir angenommen und für rechtsgültig erklärt haben, zwingt uns, auf Blutrache zu verzichten.« Er wechselte einen raschen Blick mit Ivar dem Einarmigen, der seine Wut kaum beherrschen konnte. »Deshalb erklären wir dich hiermit für geächtet. Alle Bande zu deiner Sippe sind durchtrennt. Du wirst aller Rechte beraubt und zum Feind aller Eisländer. Jeder darf dich verfolgen, jeder darf dich töten. Doch wie jedem Geächteten gewähren wir auch dir eine Frist. Wenn du bis zum vollen Mond dieses Land verlassen hast, bist du vor einer Verfolgung sicher. An der Anlegestelle im Südwesten liegt eine Knorr, die Handelswaren nach Grünland bringen und morgen früh aufbrechen soll. Wenn du dich beeilst, kannst du sie erreichen.«
    Ivar konnte sich nicht länger beherrschen. »So kann nur ein Mann urteilen, der sich dem Geschwätz dieser Pfaffen untergeordnet hat!«, rief er außer sich vor Wut. »Gebt mir ein Schwert, und ich schlage diesem Verräter den Kopf ab! Ich zerhacke seinen Körper und werfe die Reste den Hunden vor!«
    »Wir haben entschieden, Ivar«, erwiderte Thorgeir trocken.
    »Dann geh, du Ausgeburt einer räudigen Hündin!«, höhnte Ivar. »Geh nach Grünland und verkrieche dich in einer Höhle! Irgendwann werde ich dich aufspüren und wie der Zorn der Götter über dich kommen. Ich werde dir deine Gliedmaßen einzeln ausreißen und deinen Schädel ins Meer werfen.«
    Hakon verbeugte sich vor dem Rechtssprecher und den anderen Würdenträgern und folgte Gunnar aus der Schlucht. Die Worte seines aufgebrachten Onkels schwirrten wie brennende Pfeile hinter ihm her. »Weißt du, was ich mit dem Pfaffenbuch machen werde? Ich werde es an irgendeinen Händler verkaufen. Du wirst das Buch niemals wiedersehen! Hörst du mich, Hakon?«
    Hakon drehte sich nicht um, setzte weiter einen Schritt vor den anderen, darauf bedacht, sich keine Blöße zu geben. Sonst würde es vielleicht doch noch zu einem Zweikampf kommen, und wer wusste schon, wie das Thing

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