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Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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Erdhütte, in der Edwin gefesselt liegen sollte, hatte er sich gut eingeprägt. Den Gedanken, dass es beinahe unmöglich war, einen Sklaven ausgerechnet vom Allthing zu entführen, verdrängte er. Die größte Ansammlung von Menschen, die es in Eisland gab, konnte auch von Vorteil sein. Wenn es ihm gelang, Edwin ohne großes Aufsehen aus der Hütte zu holen, würde ihm anschließend kaum jemand Beachtung schenken. Ein Nordmann, der mit einem Sklaven durch die Schlucht ritt, war nichts Besonderes.
    Doch es musste schnell gehen. Noch bevor jemand misstrauisch werden konnte, musste er Thingvellir verlassen haben. Er schob alle störenden Gedanken beiseite und konzentrierte sich nur auf seine Aufgabe. Scheinbar sorglos lenkte er den Braunen mit der weißen Mähne durch das Lager, vorbei an einer beleibten Frau, die eine Sklavin aus ihrer Hütte peitschte und ihr befahl, endlich frisches Wasser zu holen, und zwei jungen Mädchen, die verstohlen mit Fingern auf ihn zeigten und leise kicherten. Ein Krieger mit zottigen Haaren, der gerade dabei war, sein Schwert zu schärfen, hielt in der Arbeit inne und sah ihm neugierig nach. Hakon war froh, dass der Mann ihn nicht ansprach.
    Vor dem Eingang zur Schlucht mit den Erdhütten zügelte Hakon für einen Augenblick die Pferde. Er blickte an den schwarzen Felsen empor, als würde er sie zum ersten Mal sehen, und kam sich auf einmal sehr klein und unbedeutend vor. Wie gewaltige Monumente ragten die dunklen Wände in den Himmel, von blassen Nebelschleiern umwogt wie die Walküren, die in Walhall auf die Ankunft der tapferen Krieger warteten. Unzählige Stimmen, das johlende Geschrei einiger Männer, die sich beim Armdrücken maßen, das Prasseln der Feuer und die Signale eines Horns umgaben ihn wie das Summen von Bienen und passten so gar nicht zu der ehrwürdigen Natur und dem feierlichen Anlass, zu dem die Menschen gekommen waren.
    Entschlossen ritt Hakon in die Schlucht hinein. Der Wind spielte mit seinen halblangen Haaren und seinem Bart. Das Schwert an seiner Hüfte glänzte im fahlen Licht. Ohne sie eines Blickes zu würdigen, ritt er an einigen Sklaven vorbei, die mit Wasserbehältern aus einer größeren Hütte traten, und hielt auf die schäbige Erdhütte zu, in der Edwin liegen musste.
    Er stieg aus dem Sattel und trat furchtlos auf den Nordmann zu, der vor der Hütte an einem Feuer saß und heißen Tee trank. »Ich soll nach dem Sklaven sehen«, sagte er.
    »Bist du einer von Ivars Männern?«
    »Ich bin Knut und gehöre zu seiner Sippe«, log Hakon. Er hatte bereits den Eingang der Erdhütte erreicht. »Ivar will den Sklaven noch heute opfern.«
    »Heute? Ich dachte, frühmorgens?«
    »Die Gerichtsverhandlung war kürzer.« Hakon betrat die Hütte und legte rasch einen Finger auf seine Lippen, als Edwin ihn erkannte und vor Schreck und Erstaunen zusammenfuhr. Mit einer Geste versuchte er ihm klarzumachen, dass er ihn befreien würde. »Kommst du mal?«, rief er dem Wächter zu. »Ich brauche deine Hilfe. Die Fesseln dieses Burschen sind nicht fest genug.«
    »Das haben wir gleich«, erwiderte der Mann und kam herein.
    Hakon empfing ihn mit einem derben Faustschlag. Der Mann war viel zu überrascht, um sich zu wehren. Mit zwei weiteren Faustschlägen, einen gegen die Schläfe, den anderen unters Kinn, raubte Hakon ihm das Bewusstsein. Der Mann stolperte rückwärts gegen die Hüttenwand und sank zu Boden.
    Ohne sich weiter um ihn zu kümmern, griff Hakon nach dem Messer und befreite Edwin von seinen Fesseln. »Du gehörst wieder mir«, sagte er.
    »Warum tust du das?«, fragte Edwin erstaunt.
    »Ivar will dich opfern«, antwortete Hakon.
    »Ich weiß, aber …«
    »Hier, zieh das über!« Hakon hatte dem Bewusstlosen das Wams ausgezogen und warf es dem Sklaven zu. Die Lederkappe reichte er hinterher. »Wenn der Nebel bleibt, gehst du damit als Nordmann durch. Ich habe ein Pferd für dich dabei. Wir reiten nach Südwesten, zur Anlegestelle bei den schwarzen Felsen. Von dort legt morgen früh ein Schiff nach Grünland ab.«
    »Du willst mich nach Grünland mitnehmen?«
    »Rede nicht so viel.« Er deutete auf den bewusstlosen Wächter. »Binde ihm Hände und Füße. Und kneble ihn! Schnell!«
    Edwin hob die Lederstricke auf, mit denen er gefesselt gewesen war, und band die Hand- und Fußgelenke des Mannes zusammen. Einen Wolllappen, der neben einem Krug auf dem Boden lag, stopfte er ihm als Knebel in den Mund. »Hier kommen wir niemals raus!«, sagte er. »Sie werden uns

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