Der Stein der Wikinger
den Sturm, stemmte sich mit seinem ganzen Körper gegen zwei Fässer mit Trinkwasser, die über Bord zu stürzen drohten. Der Sturm hatte ihm die Lederkappe vom Kopf gerissen und zerrte an seinen halblangen dunklen Haaren, peitschte ihm den Regen ins Gesicht.
»Pass auf!«, schrie er. »Hinter dir, Hakon!«
Hakon hörte ihn nicht, spürte nur den heftigen Aufprall, als Gunnhild sich auf ihn warf und mit starken Armen seinen Hals umklammerte. Er ließ den Eimer fallen und stürzte zu Boden, den schweren Körper der Frau auf seinem Rücken. »Jetzt … wirst du … alles büßen!«, verstand er, die restlichen Worte riss der Wind von ihren Lippen. »… wirst … sterben … du Ausgeburt …«
Es gelang ihm, sie von seinem Rücken zu stoßen. Sie prallte gegen die Reling, das Gesicht verzerrt vor unbändiger Wut, die Augen funkelnd vor Rachsucht, und stürzte sich erneut auf ihn, verfehlte ihn, als ein neuer Brecher die Knorr erfasste und sich eisige Gischt über das Deck ergoss. Der Wasserschwall schleuderte Hakon gegen eine Kiste mit Vorräten. Er griff geistesgegenwärtig nach dem Tau, mit dem sie gesichert war, und hielt sich mit klammen Fingern daran fest, beobachtete mit geweiteten Augen, wie Gunnhild quer übers Deck geschwemmt und gegen die Bordwand geschmettert wurde. Dort blieb sie hilflos liegen, bis ein weiterer Brecher über dem Schiff zusammenschlug und sie über die Bordwand in das Meer warf. Ihre Todesschreie gingen im wütenden Heulen des Windes und im heftigen Toben des Meeres unter.
»Gunnhild!«, rief er, obwohl sie längst im Meer verschwunden war. Dann griff eine neue Welle nach ihm und wollte ihn vom Seil wegreißen, doch er hielt das Seil fest umklammert, nützte ein kurzes Atemholen des Sturms, um sich an seinen Platz zu hangeln und den Eimer zu ergreifen.
Vergebliche Mühe, denn schon der nächste Brecher entriss ihm den Eimer und zwang ihn, sich mit beiden Händen an dem Balken festzuhalten. Er bekam einen Schwall eisiges Meerwasser ins Gesicht, glaubte einen qualvollen Augenblick lang zu ersticken, japste nach Luft, gerade rechtzeitig, um eine erneute Breitseite zu überstehen. Das Schiff schaukelte und drehte, längst hatte der Steuermann die Gewalt über das Ruder verloren. Hakon blickte mit geröteten Augen in den Frachtraum hinab, sah die Frauen und Kinder mit vor Angst weit aufgerissenen Augen auf dem Boden kauern, glaubte sie selbst in diesem Sturm schreien und weinen zu hören. Rinder zerrten in panischer Angst an den Lederstricken, ein Pferd riss sich los und begrub im Fallen zwei Männer unter sich.
Dies war das Ende, glaubte Hakon, aus diesem Sturm gab es kein Entkommen mehr. Sie trieben auf den Schlund eines Ungeheuers zu, das ihr Schiff wie ein winziges Insekt verschlucken und alles Leben beenden würde.
Ayasha
26
Wie der Köder für einen feindlichen Riesen hing Ayasha an dem gespaltenen Baum. Vergeblich hatte sie versucht ihre Fesseln zu lösen, doch die Rohhautschnüre lagen fest um ihre Handgelenke, und der Strick um ihren Hals zog sich bei jeder Bewegung nur noch mehr zusammen. Sie war enttäuscht zu Boden gesunken und lehnte mit dem Rücken an dem knorrigen Stamm, ohne zu wissen, was ihre Feinde beabsichtigen. Sollte sie wilde Tiere anlocken und von ihnen zu Tode gebissen werden? Wollten die feindlichen Krieger sich an ihren verzweifelten Schreien weiden?
Den Gefallen würde sie ihnen nicht tun. Sie würde zu Kitche Manitu beten, ihn darum bitten, ihr Stärke zu verleihen, und tapferer als ein Krieger sterben, ohne einen Schrei und ohne eine Träne. Ihre Feinde sollten sie wegen ihrer großen Tapferkeit bewundern und mit der Überzeugung in die heimatlichen Jagdgründe zurückkehren, dass alle Männer, Frauen und selbst die Kinder der Waldleute so mutig waren wie sie. »Aiee, gib mir die Kraft, Kitche Manitu!«
Die Sonne kroch langsam am Himmel empor. In den Bäumen rauschte leichter Wind. Ein Adler kreiste mehrmals über der Lichtung, auf der sie gefangen war, und verschwand wieder, als er erkannte, dass die Beute zu groß für ihn war. Zwei Rehe traten aus dem Wald, blickten kurz zu ihr herüber und zupften an dem satten Gras, bevor sie wieder zwischen den Bäumen verschwanden. Für Moskitos war es zu kühl, nur wenige schwirrten um sie herum. Ein bunter Schmetterling ließ sich im Wind treiben.
Um die Mittagszeit raschelte Laub. Sie wandte erschrocken den Kopf und sah den Anführer der feindlichen Krieger aus dem Wald treten. Scheinbar unerschrocken blickte
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