Der Stein der Wikinger
will.« Gunnhild schien ihn aufgebracht zu haben, denn sonst sprach Thorwald nie so viel. Er musste selbst grinsen. »Wer ist diese geheimnisvolle Frau, von der du träumst? Wo lebt sie? Wie sieht sie aus? Und wie kommst du darauf, dass der Christengott sie dir schenken will?«
Hakon beschloss, ihm die Wahrheit zu erzählen. Warum er sich dem Anführer so bereitwillig öffnete, wusste er nicht. Vielleicht weil er so sanft und verständnisvoll wirkte. »Ich habe ihr Bild in einem Pfaffenbuch … im Buch eines Klosterbruders gesehen. Ich weiß, dass es diese Frau gibt … irgendwo im Westen. Sie ist mir versprochen, das fühle ich, auch wenn ich es nicht erklären kann.« Dass er das Buch seiner Sippe vorenthalten, und welchen Ärger es ihm eingebracht hatte, verriet er ihm nicht. »Jetzt denkst du sicher, dass ich den Verstand verloren habe.«
»Ist das Buch in deinem Besitz?«
»Nein.«
»Jeder braucht einen Traum, mein Freund«, sagte Thorwald. »Sieh mich an. Bis vor ein paar Wintern glaubte ich nur an Krieg und Gewalt und daran, dass ich selbst nach meinem Tod noch mit den Göttern gegen die Riesen kämpfen müsste. Dann kam Bruder Dubhan und erzählte uns von dem Christengott. Ein mutiger Mann, wie meine Mutter und ich schon bald feststellten, obwohl mein Vater und mein Bruder anderer Meinung waren. Sie hielten ihn für feige, weil er keine Gegenwehr leistete, als sie ihn ans Kreuz nagelten. Aber war es nicht tapfer, dieses ganze Leid auf sich zu nehmen? Er hat es nur getan, um uns von den Sünden zu erlösen. Er ist ein guter Gott, Hakon, auch wenn er nicht bei jeder Gelegenheit zum Schwert greift. Und ist er nicht mächtiger als Odin und Thor? Ist er nicht von den Toten auferstanden? Er wartet im Paradies auf uns, mein Freund, in einem Land, in dem es keinen Krieg gibt.«
Hakon glaubte nicht alles, was Thorwald sagte. Auch er bevorzugte einen Gott, der sich wehrte, wenn man ihn angriff, und wer wusste schon, ob Jesus Christus wirklich von den Toten auferstanden war? Ein Land, in dem es keinen Krieg gab? Dieses Paradies konnte sich Hakon einfach nicht vorstellen.
Thorwald deutete auf das Kreuz, das Hakon dem toten Patrick abgenommen hatte. Hakon hatte es beinahe schon vergessen. »Ich sehe, du glaubst auch an den Christengott. Immer mehr Menschen glauben an ihn.«
»Ich weiß nicht, an wen ich glauben soll«, erwiderte Hakon ehrlich.
Thorwald reagierte nicht, schien etwas Bedrohliches gesehen oder gehört zu haben und blickte besorgt zum Himmel empor. Der Wind hatte gedreht, kam jetzt von Südosten und trieb die schwarze Wolkenwand hinter ihnen her. Noch schien sie weit genug entfernt zu sein, aber Thorwald reagierte sofort und ließ einige Männer den Sprietbaum setzen. Eine Weile segelten sie hoch am Wind, die Böen wurden heftiger, die Wellen stürmischer, und ganz plötzlich begann der Wind zu toben und wühlte das Meer zu schäumenden Brechern auf. Die bedrohlichen Wolken kamen rasch näher und die ersten schweren Regentropfen prasselten auf das Deck.
»Holt das Segel ein! Sichert die Ladung!«
Auch ohne die Befehle ihres Anführers wussten die erfahrenen Seeleute unter den Nordmännern, was zu tun war. Mit geübten Handgriffen holten sie das Segel ein, wanden zusätzliche Taue um Kisten und Fässer, banden ängstliche Kinder fest, die sonst vielleicht über Bord gegangen wären. Gunnhild schüttelte ihre Benommenheit ab und fuhr die Männer an: »Lasst mich in Ruhe, ihr Schlappschwänze! Ich kann selbst auf mich aufpassen! Zur Seite, verdammt!«
Hakon rollte mit anderen gemeinsam das Segel ein und war viel zu beschäftigt, um sich um Gunnhild zu kümmern. Der Wind blies immer stärker. Die unaufhörlich anrollenden Wellen hoben die Knorr weit aus dem Meer, ließen sie einen langen Augenblick auf den schäumenden Kämmen tanzen und dann mit voller Fahrt in die dunklen Abgründe der Wellentäler sausen. Der Steuermann und zwei der stärksten Männer stemmten sich mit ihrer ganzen Kraft in die Ruderpinne, um einigermaßen den Kurs zu halten. Der Sturm war wie ein riesiges wildes Tier, das fauchend und brüllend über sie gekommen war und sie zu verschlingen drohte.
»Schöpft Wasser!«, schrie Thorwald in den Sturm. »Beeilt euch, bevor wir alle ertrinken!«
Hakon schnappte sich einen der hölzernen Kübel, hielt sich mit einer Hand an einem Balken fest und schöpfte mit der anderen Meerwasser, leerte einen Eimer nach dem anderen über Bord, ohne viel zu bewirken. Neben ihm kämpfte Edwin gegen
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