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Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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von Pilgern auf dem Weg zu dem Wunder an ihnen vorbeikam. Dann sah er eine Frauengestalt allein am Rand des Friedhofs stehen.
    Die Figur stand weit entfernt von den anderen Grabmälern unter den Bäumen und wirkte im Spiel von Licht und Schatten fast lebendig. Es war kein geflügelter Engel, sondern das Abbild einer kleinen, schlanken Frau in einem langen Kleid, die auf einem breiten Sockel stand. Sie hatte nicht die Dramatik, die barocken Bewegungen und wallenden Gewänder der Engelsfigur, sondern stand da, als habe sie unter den Bäumen nur eine kurze Rast eingelegt. Es sprach für die Kunst des Bildhauers, dass man den Eindruck hatte, sie könne gleich ihren Weg durch den Wald fortsetzen.
    Charles deutete auf die Figur. »Henry?«
    »Augustas Mutter. Sie hat Selbstmord begangen. Die Kirche hat ihr die Bestattung in geweihtem Boden verwehrt, deshalb steht sie dort am Rand. Ursprünglich lag da nur eine Betonplatte. Jason Trebec war nicht bereit, Geld für eine Gruft oder ein Grabmal auszugeben. «
    »Sie wirkt zarter als Augusta.«
    »Nancy war eine sehr sanfte Frau. Augusta ist mehr wie ihr Vater - skrupellos und willensstark.« Er betrachtete die Statue liebevoll. »Mit dieser Figur habe ich ein Stipendium für einen vierjährigen Studienaufenthalt in Rom gewonnen. Es war eine herrliche Zeit - damals war ich sehr jung und lebendig. Ich denke fast täglich an Rom.«
    »Warum sind Sie nach Dayborn zurückgekehrt?«
    »Ich wurde im Hinterzimmer meines Hauses geboren. Die Heimat lässt einen nicht so leicht los. Denken Sie an Trebec House: Es gibt Augustas Leben einen Sinn.«
    »Aber sie lebt für die Zerstörung des Hauses.«
    »Ich war ein Nutznießer dieser Zerstörungswut. Haben Sie die zerbrochenen Fliesen im Ballsaal gesehen? Augusta hatte neuen Marmor für die Reparaturen bestellt. Der Bankmensch, der die Stiftung verwaltet, hatte den Empfang eines Marmorblocks statt der Marmorfliesen quittiert, ohne es zu merken. Sie hat mir den Marmor geschenkt und mir meinen ersten Auftrag gegeben - das Grabmal für Nancy Trebec. Damals war ich erst fünf zehn. Augusta hat mein Leben verändert.«
    »Aber Augustas Leben hat die Rache zerstört.«
    »Zerstört? Wie kommen Sie darauf? Augusta hat mehr als genug guten Wein getrunken, gute Liebhaber verbraucht und gute Pferde geritten. Sie hatte in jeder Beziehung einen sehr gesunden Appetit.«
    »Aber das Haus und all diese schönen, unersetzlichen Dinge ...«
    »Sie sehen nur den zerstörten Ballsaalboden. Die junge Frau, die durch die Räume jagte und im Galopp den Marmor zertrümmerte, können Sie nicht sehen. Aber ich war dabei.«
    Mit den Händen schilderte er Charles die Augusta von vor fünfzig Jahren - das gerötete Gesicht, die blitzenden blauen Augen. Sie ließ den Gaul auf den Hinterläufen tanzen und dann über den Marmor traben. »Ich hätte schwören können, dass ich Musik gehört habe. Doch es war nur Augustas Gelächter. Um keinen Preis würde ich auf diese Erinnerung verzichten. Mit Augusta braucht niemand Mitleid zu haben.«
    Aber vielleicht mit mir, dachte Charles. Zum zweiten Mal hatte Henry Roth ihm zu verstehen gegeben, dass er sich etwas Wichtiges im Leben entgehen ließ.
    Hinter ihnen fiel ein Schuss, dann noch einer und noch einer. Es sah aus, als hätten sich durch die Schüsse die Blätter von den Bäumen gelöst, aber es waren nur Wolken von Vögeln, die von den Zweigen aufflogen. Ein Mann mit Laurie-Gesicht schoss auf die Engelsfigur.
    Die Schaulustigen flohen in allen Richtungen aus dem Friedhof. Deputy Lilith Beaudare stürmte heran, legte den Lauf ihres Revolvers an den Mund des Mannes und packte sein blondes Haar, bis er schreiend die Flinte fallen ließ.
    Wo war sie so plötzlich hergekommen? Hatte sie beobachtet ...
    »Das wären dann acht«, sagte Henry gelassen, als hätte er diese gewalttätige Entwicklung vorausgesehen, und schrieb den Namen des Mannes in sein Notizbuch.
    Nachdem Lilith dem Mann Handfesseln angelegt und ihn abgeführt hatte, wollte Charles aufstehen, aber Henry hielt ihn mit einer Handbewegung zurück und deutete auf eine Gestalt, die sich von der Brücke her dem Friedhof näherte. Es war Alma Furgueson, die Frau mit dem lila Schimmer im schwarzen Haar, die vor ein paar Tagen tränenüberströmt vom Marktplatz geflüchtet war. Jetzt näherte sie sich langsam und mit angstverzerrtem Gesicht dem Engel. Vor der Figur fiel sie auf die Knie. »Es tut mir so Leid«, sagte sie. »So Leid ... so Leid ...«
    Ein junger Mann mit

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