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Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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zu dem Mob gehörte, der sie gesteinigt hat. Deshalb wollte sie wohl nicht, dass ich zu dir ins Büro gehe. Sie hatte Angst, Travis könnte mich schnappen. Wenn ich jetzt zu dir kommen könnte, würde ich es tun: Ich will nämlich meine Taschenuhr zurückhaben.
     
    Er nahm die goldene Uhr aus der Hemdtasche, klappte sie auf und las noch einmal nachdenklich den Namen, der über ihrem eingraviert war. Louis Markowitz war der Mann, der sie aufgezogen hatte ... Sie musste ihn geliebt haben, da sie so sehr an seiner Uhr hing. Er war also derjenige, zu dem sie gegangen war, wenn sie Hilfe brauchte. Wäre er, Tom Jessop, an dem bewussten Tag in Dayborn gewesen, hätte er dieser Mann sein können. Aber Cass hatte gewusst, dass er nicht vor Anbruch der Dunkelheit zurück sein konnte - nicht rechtzeitig genug, um ihre Tochter zu schützen.
    Wieder bedrängten ihn die alten Bilder: das Blut in Kathys Zimmer, die roten Abdrücke ihrer kleinen Hände im Schrank, Hautfetzen von Cass auf den im Garten verstreuten Steinen. Und Kathy, ein verängstigtes Kind, allein auf der Straße, das um seine Mutter trauerte.
    Mit den schweren Schritten eines alten Mannes ging er durch alle Zimmer und zog die Vorhänge zu. Die Passanten brauchten nicht zu sehen, dass der Sheriff weinte.

17
    Wenige Tiere kamen im November zur Welt. Der Monat war vor allem eine Zeit zum Töten. Doch in der Stunde vor Sonnenaufgang legten Eulen und Fledermäuse die Flügel an, und Insekten und Kleintiere hatten eine Verschnaufpause, ehe die tagaktiven Raubtiere erwachten.
    Auf dem Friedhof herrschte Ruhe, aber einer seiner Engel fehlte.
    Durch die kühle Luft einer Kaltfront war Bodennebel entstanden, der die Füße des Sheriffs einhüllte, als er vor dem leeren Sockel stand und wieder einmal Cass Shelleys Lebens- und Todesdaten las. Siebzehn Jahre zuvor hatte er eigentlich noch etwas hinzufügen wollen, eine Gedichtzeile vielleicht, aber ihm war nichts Passendes eingefallen. Dass er seine Absicht damals nicht ausgeführt hatte, machte ihm immer noch zu schaffen.
    Er drehte sich zu seiner Stellvertreterin um, die so mühelos mit der Dunkelheit verschmolz. Liliths weißer Vater war sehr abergläubisch gewesen. Hätte Guy Beaudare gestern den Engel weinen sehen, hätte er sich sofort auf die Knie geworfen, wie ein Verrückter Gebete heruntergeleiert und den Rosenkranz klicken lassen. Guys Tochter war offenbar nüchterner veranlagt und hatte mit Wundern nicht viel am Hut.
    »Du glaubst also, sie kommen zurück?«
    »Es wird noch eine Weile dauern«, sagte sie. »Sie müssen vor die Palette Bretter legen, um die Figur vorwärts zu bewegen. Das geht nicht so schnell.«
    »Dafür macht es keinen Lärm und hinterlässt keine Spuren. Mr. Butler ist also nicht abgereist. Gut gemacht, Lilith. Diese Woche hast du dir dein Gehalt verdient.«
    »Sie werfen mich also nicht raus?«
    »Das hatte ich eigentlich nicht vor. Eine Tochter von Guy Beaudare, hab ich mir gesagt, kann eigentlich nicht völlig missraten sein.«
    »Sie haben es gleich gewusst, nicht?«
    »Vom ersten Tag an. Aber es ist schön, dass du es mir gesagt hast.« Er hatte zwar Lilith im Lauf seines Lebens erst dreimal gesehen, aber es wäre ihm schwer gefallen, sie zu feuern. Ihr Vater war jahrelang sein Trinkkumpan gewesen - und so viel Bier verbindet.
    »Ich werde den Typen vom FBI sagen, dass ich nicht mehr mitmache.«
    »Sehr ehrenwert, Lilith, aber das solltest du dir genau überlegen. Vor zwanzig Jahren haben sie mir den gleichen Deal angeboten.«
    »Mein Vater hat erzählt, dass Sie den Typen ganz genau gezeigt haben, wo's langgeht.«
    »Ja, obwohl ich später ihre Hilfe hin und wieder gut hätte gebrauchen können. Man lernt eben aus seinen Fehlern.«
    »Und warum haben Sie die Feds abblitzen lassen?«
    »Weil sie mir unheimlich waren mit all dem, was sie über die Leute von der Neuen Kirche rauskriegen wollten. Gewiss, Malcolm hat allerlei undurchsichtige Geschäfte gemacht, aber davon wussten die Feds ja nichts. Denen ging es nur darum, wieder mal ein Dossier über eine Kirche anzulegen. Sie erinnern mich immer an Insekten, die auf Teufel komm raus irgendwelche Sachen sammeln, ohne zu wissen, warum. Für die Feds ist Sammeln einfach Selbstzweck, und ich hatte keine Lust, ihnen dabei zu helfen. Daraufhin haben sie meinen Deputy gefragt, ob er sich nicht gern ein bisschen was dazuverdienen würde.«
    »Travis hat für die Feds gearbeitet?«
    »Nein, nicht dieser Trottel. Damals hatte ich noch einen

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