Der steinerne Engel
ihm wohl verschweigen mochte.
»Sie haben doch gesagt, dass er unter den Einheimischen jede Menge Feinde hatte«, sagte sie betont beiläufig.
»Du meinst also, es müsste nicht unbedingt jemand von draußen gewesen sein?«
»Was ist mit Babes Witwe? Die hat doch ihren Mann gehasst, nicht?«
Die Hoffnung, die in der Frage schwang, gab dem Sheriff zu denken. »Sally Laurie war es nicht«, sagte er bestimmt und hatte den Eindruck, dass Lilith den Kopf hängen ließ. »Sally hat an der Verbindung mit den Lauries gut verdient«, fuhr er fort. »Von Malcolm hat sie ein Haus am Wasser geschenkt bekommen, in bester Lage - ein Bonbon, damit sie sich nicht von Babe trennte aber ihr Haupteinkommen bezog sie vom Finanzamt. Die Steuerfritzen interessierten sich nämlich brennend für die Neue Kirche.«
»Warum? Kirchen zahlen doch gar keine Steuern.«
»Keiner der Lauries zahlt Steuern. Malcolm spendet reichlich an die Stadtkasse, um es mit mir nicht zu verderben, aber dem Fiskus gönnen sie nicht das Schwarze unter dem Nagel. Als sich herausstellte, dass juristisch nichts zu machen war, hat das Finanzamt Sally von seiner Gehaltsliste gestrichen.«
»Woher haben Sie gewusst, dass Sally für den Fiskus arbeitet?«
»Ich habe beobachtet, wie sie im Nachbarort mit Bargeld bezahlt hat. In der Neuen Kirche kriegt keiner Bargeld in die Hand. Die Arbeitskraft der Mitglieder gehört der Kirche, und der Kirche gehören ihre Häuser, ihre Videogeräte, ihre Geschirrspülmaschinen und alles, was sie auf dem Leib tragen. Selbst die Lebensmittel kaufen sie mit Kirchengutscheinen. Aber Sally hatte Bargeld. Jede Menge. Sie war eine gewiefte Geschäftsfrau.«
»Diese Tussi, die nur Kaugummi mampfen kann?«
»Sally Laurie war auch deine Vorgängerin beim FBI.«
Damit hatte er Lilith Beaudare erst einmal zum Schweigen gebracht. Er lächelte. »Es war meine Idee. Als das Finanzamt nicht mehr zahlte, hab ich gesagt, dass es doch ein Jammer sei, eine so gute Beziehung zum Staat einschlafen zu lassen. Das Finanzamt hat ihr eine großartige Empfehlung fürs FBI geschrieben, und sie hat an den erfundenen Sachen, die sie den Blödmännern verkauft hat, bestens verdient. Du solltest mal ihre Bankauszüge sehen.«
»Das hat sie Ihnen alles erzählt?«
»Wir waren jahrelang die besten Trinkkumpane. Ich war der Einzige in der Stadt, der die Feds und die Neue Kirche genauso hasste wie sie. Mit wem hätte sie sonst reden sollen? Ich bewundere die Frau, ehrlich. Aber jetzt kommt das Beste: Travis war mal Mitglied in der Neuen Kirche, und alle haben ihn für den FBI-Maulwurf gehalten.«
»Fred Laurie ist auch auf und davon. Könnte er seinen Bruder umgebracht haben?«
»Wo der alte Fred abgeblieben ist, möchte ich wirklich gern wissen, allerdings nicht in meiner Eigenschaft als Sheriff. Ein Mord reicht mir erst mal.«
»Glauben Sie, dass er tot ist?«
»Bestimmt. Er hat keine Klamotten mitgenommen, hatte kein Geld. Wohin hätte er gehen sollen? Vielleicht war in der Nacht nicht nur er mit einer Flinte unterwegs. Kann sein, dass er auf die falsche Person getroffen ist. Augusta macht in der Gegend jede Nacht ihre Runde, um die Futterstellen zu überprüfen und ihre Eulen zu zählen. Fred und seine Flinte waren ihr ein Dorn im Auge.«
»Sind Sie verrückt? Die alte Dame könnte doch nie ...«
»Unterschätze deine Tante nicht. Augusta hat schon ein Leben auf dem Gewissen.«
Lilith sah so harmlos-heiter aus, als dächte sie ans Plätzchenbacken und nicht an Mord in der Familie. »Sie war in jungen Jahren eine hervorragende Schützin.«
»Ist sie noch. Ich würde keinem empfehlen, sich mit ihr anzulegen.« Der Bodennebel verzog sich allmählich. Mit jedem Schritt Tom Jessops teilten sich die Schwaden. Er überlegte, wie weit er seiner Stellvertreterin trauen konnte. »Ich treffe mich mit dem New Yorker Cop mittags auf ein Bier im Dayborn Bar and Grill. Kennst du die Pinte?«
Sie nickte nur. Demnach hatte sie nicht vor, ihm von ihrem Gespräch mit Riker in dem Lokal zu erzählen. Der Barkeeper hatte dem Sheriff nicht sagen können, worüber die beiden geredet hatten, sondern nur angemerkt, dass Lilith ihren Whisky noch schneller kippen konnte als ihr Vater.
Sie ließ die Füße im Kies schleifen. »Dad hat dort so manchen denkwürdigen Abend verbracht.«
»Allerdings. Ich erinnere mich noch an die Nacht, in der du geboren wurdest. Dein Vater kam mit vier Schachteln billiger Zigarren an, und die Kneipe stank noch tagelang danach.«
Sie hatten
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